Wolfsmale
Kopf in den hinteren Teil des Taxis, wo zwei von ihnen bereits saßen.
»Raus!«, brüllte er und wies mit dem Daumen energisch auf den Bürgersteig.
»Oi, Kumpel, was soll denn das?« Der Fahrer war so dick, dass er sich kaum auf seinem Sitz
umdrehen konnte.
»Ich hab gesagt raus!« Rebus ergriff einen Arm und zog. Entweder war der junge Mann erstaunlich
leicht, oder Rebus hatte plötzlich ungeahnte Kräfte entwickelt, denn der Mann flog beinah aus dem
Sitz und zeterte dabei in höchsten Tönen.
»Und du auch.«
Das Mädchen gehorchte brav. Rebus warf sich in das Taxi und knallte die Tür zu.
»Los!«, brüllte er.
»Ich fahre keinen Schritt, bis ich...«
Rebus hielt seinen Ausweis gegen die Scheibe zwischen Fahrgast und Fahrer.
»Inspector Rebus!«, rief er. »Das ist ein Notfall. Ich muss dringend zum Old Bailey. Verstoßen
Sie von mir aus gegen sämtliche Verkehrsregeln, ich bring das später in Ordnung. Jetzt treten Sie
doch endlich auf das Gas!«
Darauf schaltete der Fahrer das Fernlicht an und fädelte sich in den Verkehr ein.
»Benutzen Sie die Hupe!«, rief Rebus. Das tat der Fahrer auch. Eine erstaunliche Anzahl von Autos
machte ihnen Platz. Rebus saß auf der Kante seines Sitzes und hielt sich mit beiden Händen daran
fest, um nicht herumgeschleudert zu werden. »Wie lange brauchen wir?«
»Um diese Tageszeit? Zehn bis fünfzehn Minuten. Was ist los, Chef? Können die nicht ohne Sie
anfangen?«
Rebus lächelte säuerlich. Genau das war das Problem. Der Wolfsmann konnte ohne ihn anfangen, wann
immer er wollte. »Ich muss mal Ihr Funkgerät benutzen«, sagte er. Der Fahrer schob die Scheibe
weiter auf.
»Bitte sehr«, sagte er und zog das kleine Mikrofon zu Rebus. Seit über zwanzig Jahren fuhr er nun
Taxi, aber so etwas hatte er noch nicht erlebt.
Er war so aufgeregt, dass ihm erst auf halber Strecke einfiel, den Taxameter anzustellen.
Rebus hatte Flight so viel gesagt, wie er konnte, und sich bemüht, nicht hysterisch zu klingen.
Flight schien an der Sache zu zweifeln, war aber bereit, ein paar Männer zum Old Bailey zu
schicken. Rebus konnte es George Flight nicht verdenken, dass er vorsichtig war. Es war
schwierig, die Verhaftung einer der Stützen der Gesellschaft allein aufgrund eines Gefühls zu
rechtfertigen. Rebus erinnerte sich an weitere Dinge, die Lisa Frazer über Serienkiller gesagt
hatte: Sie waren ein Produkt ihrer Umgebung; sie waren in ihrem Ehrgeiz beschnitten worden, was
dazu führe, dass sie Angehörige der sozialen Schicht über ihnen umbringen. Nun ja, das traf auf
Malcolm Chambers ganz gewiss nicht zu. Und was hatte sie über den Wolfsmann gesagt? Dass er bei
seinen Angriffen eine »direkte Konfrontation« vermied und sich folglich in seinem Beruf
vielleicht genauso verhielt. Hah! So viel zur Theorie. Doch nun begann Rebus selbst an seinen
Instinkten zu zweifeln. Mein Gott, wenn er nun Unrecht hatte und die Theorie stimmte?
Dann würde er selber als völliger Psychopath dastehen.
Dann fiel ihm etwas ein, was George Flight gesagt hatte. Man könnte sich ein so genaues Bild von
dem Mörder machen, wie man wollte, aber davon hätte man immer noch keinen Namen und keine
Adresse.
Psychologie sei ja gut und schön, aber es ginge nichts über eine gute altmodische
Intuition.
»Sind gleich da, Chef.«
Rebus versuchte, regelmäßig zu atmen. Ganz ruhig, John, ganz ruhig. Es standen jedoch keine
Polizeiwagen vor dem Old Bailey. Keine Sirenen und keine bewaffneten Beamten. Nur ganz normale
Leute, die dort herumliefen, Leute, die gerade Feierabend hatten, Leute, die sich gemeinsam über
irgendwas amüsierten. Rebus ließ den Taxifahrer ohne Bezahlung und ohne Trinkgeld sitzen - Das
regel ich später - und schob die schwere Glastür des Gebäudes auf. Hinter noch mehr
kugelsicherem Glas standen zwei Sicherheitsposten. Rebus hielt ihnen seinen Ausweis unter die
Nase. Einer von ihnen zeigte auf die beiden senkrechten Glaszylinder, durch die immer jeweils nur
eine Person das Gebäude betreten durfte. Rebus ging zu einem der Zylinder und wartete. Nichts
passierte. Dann bemerkte er den Knopf, drückte mit dem Handballen dagegen, und die Zylindertür
öffnete sich. Er ging hinein und wartete, wie es ihm vorkam, eine Ewigkeit, während sich erst die
Tür hinter ihm schloss, bevor die Tür vor ihm genauso langsam aufglitt.
Ein weiterer Wachposten stand neben dem Metalldetektor. Rebus, der immer noch seinen Ausweis in
der Hand hielt, ging rasch weiter, bis er vor der
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