Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
daran zu erinnern. Hatte sie alles aufgenommen? Oder sich bloß Notizen gemacht, nachdem er
gegangen war? Es spielte keine Rolle.
Am allermeisten traf ihn jedoch, dass er in ihr etwas Solides und Vertrauenswürdiges gesehen
hatte inmitten des Chaos. Und sie hatte sich als janusköpfig erwiesen. Ihn benutzt. Herrgott noch
mal, sie hatte sogar mit ihm geschlafen. Hatte das auch zu ihrem Projekt gehört, ihrem kleinen
Experiment? Wie konnte er je sicher sein, dass das nicht der Fall war. Es war ihm durchaus
ehrlich erschienen, aber... Er hatte sie an seinen Gedanken teilhaben lassen und sie ihn an ihrem
Körper. Das war kein fairer Tausch.
»Dieses Miststück!«, entfuhr es ihm, und er blieb abrupt stehen. »Dieses verlogene kleine
Miststück.«
Warum hatte sie es ihm nicht gesagt? Warum hatte sie nicht einfach alles erklärt? Er hätte ihr
geholfen, sich Zeit für sie genommen. Nein, hätte er nicht. Das war eine Lüge. Eine Doktorandin?
Ein Forschungsprojekt? Er hätte ihr die Tür gewiesen. Stattdessen hatte er ihr zugehört, ihr
geglaubt und von ihr gelernt. Ja, das stimmte. Er hatte eine Menge von ihr gelernt.
Über Psychologie, über die Psyche von Mördern. Und er hatte auch aus ihren Büchern gelernt. Aber
darum ging es nicht. Es ging darum, dass ihm jetzt alles hässlich und schal vorkam, jetzt, wo er
wusste, wer sie wirklich war.
»Miststück.« Doch seine Stimme war leiser geworden, und seine Kehle zog sich zusammen, als ob
jemand eine Hand darum gelegt hätte und langsam zudrückte. Er schluckte heftig und fing an, tief
durchzuatmen.
Beruhige dich, John. Was spielte das schon für eine Rolle? Spielte es überhaupt irgendeine Rolle?
Doch, es war wichtig, antwortete er sich selbst, weil er etwas für sie empfand. Oder etwas für
sie empfunden hatte. Nein, immer noch empfand. Etwas, von dem er geglaubt hatte, dass es
vielleicht erwidert wurde.
»Was machst du dir da eigentlich vor?« Man brauchte ihn sich doch nur anzusehen - übergewichtig
und über vierzig. Auf der Stufe eines Inspector stehen geblieben, ohne Aussicht auf Beförderung,
außer - wenn Flight sein Versprechen wahr machte - nach unten. Geschieden. Eine Tochter, die
verzweifelt war und sich mit zwielichtigen Typen abgab. Und irgendjemand in London mit einem
Küchenmesser, einem Geheimnis und dem Wissen um Lisa. Alles war falsch. Er hatte sich an Lisa
geklammert wie ein Ertrinkender, der nach einem dünnen Strohhalm greift. Törichter alter
Mann.
Er stand jetzt vor dem Haupteingang des Gebäudes und wusste nicht so recht, was er tun sollte.
Sollte er sie darauf ansprechen, oder sollte er dies alles ignorieren und sie nie wiedersehen.
Normalerweise genoss er Auseinandersetzungen, fand sie aufregend und erfrischend. Aber heute
vielleicht nicht.
Sie war im Old Bailey, um Malcolm Chambers zu interviewen. Auch er wurde in diesem Augenblick von
ihren angeblichen Referenzen getäuscht, von dem falschen Doktortitel. Alle bewunderten Malcolm
Chambers. Er war klug, er stand auf der Seite des Gesetzes, und er verdiente haufenweise Geld.
Rebus hatte Polizisten gekannt, auf die nichts davon zutraf; die meisten konnten nur einen von
diesen drei Punkten verzeichnen, einige wenige brachten es auf zwei. Chambers würde Lisa Frazer
völlig umhauen.
Sie würde ihn hassen, bis sich dieser Hass mit Ehrfurcht mischte, und dann würde sie
wahrscheinlich glauben, dass sie ihn liebte. Na dann, viel Glück für sie.
Er würde zur Wache zurückkehren, sich verabschieden, seine Sachen packen und gen Norden reisen.
Sie kamen auch ohne ihn sehr gut zurecht.
Der Fall rührte sich nicht vom Fleck, bis der Wolfsmann wieder zuschlug.
Dabei hatten sie schon so viel in der Hand, wussten so viel über ihn, waren so nah daran, ihn zu
pflücken wie eine reife Frucht. Vielleicht würde er Lisa Frazer treffen. Warum, zum Teufel, trieb
sie sich im Old Bailey herum, wenn sie sich versteckt halten sollte? Er musste unbedingt mit
Flight reden.
Was, zum Teufel, führte Flight eigentlich im Schilde?
»Ach, zum Teufel mit euch allen«, murmelte er und vergrub die Hände in den Taschen.
Zwei Studenten mit lauten amerikanischen Stimmen kamen auf ihn zu.
Sie schienen erregt über diese oder jene These zu diskutieren, wie Studenten das immer tun,
bereit, die ganze Welt zu verändern. Sie wollten an ihm vorbei ins Gebäude. Er trat zur Seite,
doch sie gingen eigentlich nicht an ihm vorbei, sondern eher durch ihn hindurch, als wäre er so
körperlos wie

Weitere Kostenlose Bücher