Wolfsmale
tief geschlafen hatte. Er bezweifelte, dass sie in den nächsten Nächten viel Schlaf finden würde,
mit oder ohne Beruhigungspillen.
Flight sprach als Erster. »Ich habe Ihnen für kurze Zeit eine andere Unterkunft besorgt, Dr.
Frazer. Je weniger Leute wissen, wo Sie sind, desto besser. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie
sind dort absolut sicher. Für Polizeischutz ist gesorgt.«
»Was ist mit ihrer Wohnung?«, fragte Rebus.
Flight nickte. »Die lasse ich von zwei Männern beobachten. Einer in der Wohnung und einer
draußen. Beide versteckt. Die werden schon mit dem Wolfsmann fertig, wenn er auftaucht, das
kannst du mir glauben.«
»Hört auf, so zu reden, als ob ich nicht da wäre«, fuhr Lisa sie an.
»Schließlich betrifft mich das auch.«
Im Zimmer breitete sich eisiges Schweigen aus.
»Tut mir Leid«, sagte sie und bedeckte ihre Augen mit der linken Hand.
»Ich kann es nicht fassen, dass ich solche Angst hatte. Ich fühle mich...«
Sie bog den Kopf erneut zurück. Die Tränen waren zu kostbar, um sie zu vergießen. Flight legte
vorsichtig eine Hand auf ihre Schulter.
»Es wird alles gut, Dr. Frazer. Ganz bestimmt.« Sie quittierte das mit einem ironischen
Lächeln.
Flight redete weiter tröstend auf sie ein, doch sie hörte nicht zu. Sie starrte Rebus an, und er
starrte zurück. Rebus wusste, was ihre Augen ihm sagten. Sie sagten ihm etwas von äußerster
Wichtigkeit.
Fang den Wolfsmann, fang ihn schnell und vernichte ihn. Tu es für mich, John. Tu es
einfach.
Sie blinzelte und unterbrach den Kontakt. Rebus nickte ganz langsam, beinah unmerklich, aber es
genügte. Sie lächelte ihn an, und plötzlich waren ihre Augen trocken und funkelten. Flight spürte
die Veränderung und nahm die Hand von ihrem Arm. Er sah Rebus fragend an, doch der betrachtete
erneut den Brief, konzentrierte sich auf den ersten Satz. Was war da? Da war irgendwas, das knapp
jenseits seines Horizonts lag. Etwas, das er nicht erkannte. Noch nicht.
Zwei Detectives, einer außergewöhnlich kräftig wie ein Erste-Reihe-Stürmer eines Rugby-Teams, der
andere groß, dünn und schweigsam, kamen ins Laborgebäude, um Lisa abzuholen und sie an einen
sicheren Ort zu bringen. Trotz heftiger Proteste wollte man Rebus nicht sagen, wohin.
Flight nahm die ganze Sache wirklich sehr ernst. Doch bevor Lisa gehen konnte, brauchte das Labor
ihre Fingerabdrücke und Faserproben von ihrer Kleidung, um sie ausschließen zu können. Die beiden
Bodyguards begleiteten sie.
Rebus und Flight, beide erschöpft, standen in dem langen, hell erleuchteten Flur am
Getränkeautomaten und warfen Münzen ein für einen Becher Pulverkaffee und einen Becher Tee.
»Bist du eigentlich verheiratet, George?«
Flight schien überrascht über die Frage, vielleicht auch nur überrascht, dass sie erst jetzt
gestellt wurde. »Ja«, sagte er. »Seit zwölf Jahren. Marion heißt sie. Ist meine zweite Frau. Die
erste Ehe war eine Katastrophe - meine Schuld, nicht ihre.«
Rebus nickte und fasste den heißen Plastikbecher am Rand an.
»Du hast gesagt, du warst auch mal verheiratet«, bemerkte Flight. Rebus nickte wieder.
»Das stimmt.«
»Und was ist passiert?«
»Ich weiß es wirklich nicht mehr so genau. Rhona hat mal gesagt, es war wie die
Kontinentalverschiebung. Es ging so langsam, dass wir es erst gemerkt haben, als es zu spät war.
Sie auf einer Insel, ich auf einer anderen und zwischen uns ein großes tiefes Meer.«
Flight lächelte. »Du hast gesagt, sie war Lehrerin.«
»Ja, das ist sie immer noch. Wohnt mit meiner Tochter in Mile End.«
»In Mile End? Verdammt. Das ist saniertes Gangland, keine Gegend für die Tochter eines
Polizisten.«
Rebus musste über die Ironie grinsen. Zeit für ein Geständnis.
»Übrigens, George, ich hab rausgefunden, dass sie mit einem gewissen Kenny Watkiss geht.«
»Oje. Wer? Deine Frau oder deine Tochter?«
»Meine Tochter. Sie heißt Samantha.«
»Und sie geht mit Kenny Watkiss? Wie alt ist der?«
»Älter als sie. Achtzehn oder neunzehn. Er arbeitet als Motorradkurier in der City.«
Flight nickte verstehend. »Er war es, der von der Zuschauergalerie heruntergerufen hat?« Flight
dachte einen Augenblick nach. »Nach dem, was ich über die Familie Watkiss weiß, würde ich
annehmen, dass er Tommys Neffe sein muss. Tommy hat einen Bruder, Lenny, der sitzt gerade im
Gefängnis. Lenny ist ein ziemlicher Softie, ganz anders als Tommy. Er sitzt wegen Betrug,
Steuerhinterziehung, Manipulation von Autotachos und Ausstellen
Weitere Kostenlose Bücher