Wolfspfade 6
gefragt.
„Der Legende zufolge, ja.“
„Was ist der Unterschied zwischen einem Werwolf und einem loup-garou ?“
„Sie können beide mittels Silber getötet werden, aber Werwölfe sind gezwungen, sich bei Vollmond zu verwandeln und zu töten – in dieser einen Nacht müssen sie es tun, während es ihnen in jeder anderen freigestellt ist. Der loup-garou hingegen muss sich bei Halbmond verwandeln und töten, also während einer Mondphase, die zweimal im Monat auftritt – bei abnehmendem wie bei zunehmendem Mond – und die darüber hinaus mehrere Tage andauert.“
Was bedeutete, dass der loup-garou wesentlich länger unter dem Einfluss des Mondes stand als die meisten anderen Geschöpfe. Es war ein sehr cleverer Fluch, denn er führte dazu, dass der Sklavenhalter einer Sache ausgeliefert war, über die er keine Kontrolle hatte – exakt das, was er verdiente. Nur leider mussten deswegen auch andere Menschen leiden.
All das setzte natürlich voraus, dass ich an Flüche glaubte, was nicht zutraf, genauso wenig wie ich an die Existenz von Werwölfen – welcher Variante auch immer – glaubte. Trotzdem konnte ich meine Neugier nicht bezähmen.
„Sie sagten, die Frau, die den Fluch auferlegt hat, sei eine Voodoo-Königin gewesen?“
„Richtig.“
„Aber Cassandra bezeichnen Sie als Priesterin. Wo liegt der Unterschied?“
„In New Orleans ging es im Voodoo schon immer mehr um Magie und Mysterien als um die Religion an sich, deshalb bezeichnete man die Oberhäupter meist als Könige und Königinnen, wobei Letztere schon immer die mächtigeren waren. Auf Haiti nennt man die Anführer houngans oder mambos beziehungsweise Priester und Priesterinnen, um hervorzuheben, dass sie Voodoo in erster Linie als Religion verstehen.“
Das ergab Sinn.
„Aber wenn diese Voodoo-Königin zu einem Fluch griff, macht sie das nicht automatisch zu einem bokor ?“
Maggie lächelte. „Auf gewisse Weise schon. Jeder, der Voodoo praktiziert, weiß vom Guten wie vom Bösen. Im Voodoo geht es um das Gleichgewicht – des Universums, der Gemeinde, der Seele. Nur wer das Böse kennt und versteht, kann darauf hoffen, es erfolgreich zu bekämpfen. Jeder Anwärter auf die Priesterschaft studiert die schwarze Magie; doch er schwört, niemals Gebrauch davon zu machen.“
„Aber sie hat es getan.“
„Ich bin mir sicher, dass sie einen triftigen Grund hatte.“
Ich war mir sicher, dass sie eine ganze Reihe triftiger Gründe gehabt hatte.
„Wie stellt man es an, jemanden zu verfluchen?“, wollte ich wissen.
„Die Person, die den Fluch bewirken will, bittet die loas um Hilfe. Jeder loa besitzt eine helle und eine dunkle Seite, rada und petro genannt. Sich an die dunkle Seite zu wenden, erfordert Blut, gewöhnlich das eines großen Tiers wie eines Schweins.“
Ich riss die Augen auf. Warum kamen immer wieder Schweine ins Spiel?
Diese Frage wurde von einem wesentlich unappetitlicheren Gedanken verdrängt. „Was ist mit Menschenopfern?“
Maggie schüttelte den Kopf. „All diese Bücher und Filme verteufeln Voodoo als einen Kult, der Menschenopferungen durchführt, aber so etwas tun wir nicht. Voodoo ist eine Religion der Liebe und Friedfertigkeit.“
„Ich wette, so ein Opferschwein fühlt sich alles andere als geliebt.“
„Ihrem Schweinekotelett ergeht es da nicht anders, trotzdem hält Sie das nicht davon ab, es zu essen.“
Gutes Argument .
Trotzdem, was, wenn jemand die Hollywood-Version von Voodoo für die Wahrheit hielt und überall in der Stadt Menschen opferte? Maggie hatte gesagt, dass Voodoo-Rituale bevorzugt bei Vollmond vollzogen wurden. Es lohnte sich, diese Information im Kopf zu behalten und sie vielleicht auch an Sullivan weiterzugeben.
„Sie sagten, dass es viele loas gibt. Müsste man für eine Verfluchung mit einem ganz bestimmten in Kontakt treten?“
Maggie gab wieder etwas in den Computer ein. „Der Baron Samedi ist ein gede , ein Geist des Todes. Kein rada und auch kein petro ; die gede sind etwas Eigenständiges. Sie herrschen über das Totenreich. Um jemanden dazu zu verfluchen, ein Werwolf zu werden, würde man sich vermutlich an den Baron Samedi wenden. Er ist der Mächtigste unter den gede und nicht nur Herr über das Gestaltwandeln, sondern auch über die Wiederbelebung von Leichen.“
„Sie sprechen von Zombies?“
„Ja.“
Da ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte, ging ich zum nächsten Punkt über. „Sie vermuten also, dass die Voodoo-Königin diesen Baron Samedi um
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