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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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ein Mensch in einen Wolf verwandelte.“
    „Dein Freund Sullivan?“
    „Woher weißt du das?“
    „Ich habe mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht. Ich kenne Leute.“ Er zuckte die Schultern. „Sie erzählen mir Dinge. Sullivan wurde von einem Tier attackiert. Er schien tot zu sein, dann wurde er wieder lebendig. Sein Verhalten im Krankenhaus war gelinde gesagt tollwütig. Da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen.“
    „Du glaubst mir also“, folgerte ich verblüfft. Bis zu diesem Moment war mir nicht klar gewesen, wie sehr ich insgeheim befürchtet hatte, dass er es nicht tun könnte, dass er mich auslachen oder, schlimmer noch, diese Typen mit den großen Schmetterlingsnetzen anrufen würde. Andrerseits redete ich gerade mit einem Mann, der regelmäßig im Dunkeln Selbstgespräche führte.
    „Du wolltest wissen, warum ich an Gott glaube“, fuhr Rodolfo leise fort. „Ich habe das Böse erblickt.“ Er verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln. „Zumindest habe ich es einmal gesehen, und wenn es solch eine Verderbtheit, solch ein vollständiges Fehlen von Gott geben kann, muss Gott doch existieren, oder?“
    Gutes Argument.
    „Du bist nicht verbittert wegen …“ Unsicher, wie ich den Satz zu Ende bringen sollte, brach ich ab.
    „Dem hier?“ John deutete auf seine Augen. „Nein.“ Er lächelte traurig. „Na ja, ein bisschen vielleicht schon. Aber daran, dass ich mir Gottes Zorn zugezogen habe, ist niemand schuld außer mir.“
    „Du denkst, dass du blind bist, weil du dir Gottes Zorn zugezogen hast?“ Das kam mir ein bisschen sehr alttestamentarisch vor.
    „Ich denke, dass Gott jedes Recht hat, mich zu hassen, und jede Strafe, die mich trifft, wesentlich milder ist als das, was ich verdiene.“
    „John“, setzte ich an, aber er hob abwehrend die Hand.
    „Es gibt Dinge, die ich getan habe, Anne, und für die es keine Vergebung gibt.“
    Durch ein Dachfenster fluteten Sonnenstrahlen ins Zimmer, die sein Handgelenk in helles Licht tauchten und die dünne weiße Line, die seine Haut verunzierte, betonten.
    Ich ging zu ihm, nahm seine Hand und drückte die Lippen auf die Narbe. Er schrak zusammen, aber ich ließ ihn nicht los.
    „Hat diese Sache etwas damit zu tun?“
    „Ja“, wisperte er.
    „Kannst du mir nicht sagen, was passiert ist?“
    „Nein.“ Er zog seine Hand zurück und ging auf Abstand.
    „Versprich mir, dass du nie wieder versuchen wirst, dir etwas anzutun.“
    „Sei unbesorgt. Ich scheine mich nicht umbringen zu können, ganz egal, wie sehr ich mich auch anstrenge.“
    Das war zwar kein Versprechen, aber mir schwante, dass es das Beste war, was ich kriegen würde.
    „Abgesehen davon“, er hob das Gesicht der Sonne entgegen und badete es darin, „muss ich zuvor noch etwas erledigen.“
    Seine Worte riefen mir meinen Schwur, Katie zu finden, ins Gedächtnis. Bislang hatte ich keine gute Arbeit geleistet. Ich war zu sehr von dem, was um mich herum geschah, abgelenkt worden. Trotzdem durfte ich nicht zu hart mit mir ins Gericht gehen. Die Ereignisse und die Menschen – mein Blick wanderte über die lange, breite Fläche von Rodolfos Rücken – konnten einen schon aus dem Konzept bringen.
    „Warum bist du hergekommen?“, wiederholte er seine Frage von vorhin.
    „Weil ich besorgt war.“ Schnell erzählte ich ihm von der Sache mit Maggie.
    „Keine Bange“, erwiderte er. „Mich wird es noch eine lange, lange Zeit geben.“
    Er klang nicht sehr glücklich darüber.
    Da konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich trat zu ihm, legte die Arme um seine Taille und schmiegte den Kopf an seine Schulter. „Du sagst, dass Gott dich bestraft.“
    „Irgendjemand tut das jedenfalls.“
    „Aber Gott vergibt auch, John. So ist er nun mal.“
    „Mir nicht.“
    „Was macht dich so besonders?“
    „Gar nichts.“ Seine Muskeln spannten sich an; ich spürte, wie sie sich unter meinen Wangen und Händen verkrampften. „Ich bin überhaupt nicht besonders. Ich bin …“
    Als er nicht weitersprach, fragte ich: „Du bist was?“
    „Einfach nur müde.“
    Gleich einem Fieber strahlte die Verzweiflung von ihm ab; er ließ die Schultern hängen. Ich kannte nur ein Mittel, um ihn wenigstens für eine kurze Weile alles vergessen zu lassen, was ihn umtrieb.
    Ich schlang die Arme um ihn, befreite die letzten beiden Knöpfe aus ihren Löchern, und sein Hemd segelte zu Boden. Mit dem Daumen zeichnete ich die harten Klippen seiner Bauchmuskeln nach, dann ließ ich einen Finger um

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