Wolfspfade 6
sprechen konnte.
Maggie war fort; Sullivan ebenso. Mueller zu erzählen, dass in New Orleans möglicherweise ein loup-garou sein Unwesen trieb, erschien mir nicht besonders klug.
Am besten sollte ich meine absurden Theorien für mich behalten, nur dass ich mir allmählich Gedanken wegen meines schrumpfenden Freundeskreises machte. Wurden sie meinetwegen umgebracht?
Nein!
Andrerseits stand fest, dass man mich mit einem Foto von Katie hierher gelockt hatte.
Sorge um Rodolfo erfasste mich. Ich fühlte mich ihm näher als je zuvor einem Mann – zumindest körperlich. Was, wenn es gerade in diesem Moment jemand auf ihn abgesehen hatte?
Ich tippte etwas in den Computer ein und hatte ein paar Querverweise später seine Adresse. Das Internet war der feuchte Traum eines jeden Privatdetektivs – und wenn die Menschen wüssten, wie einfach es war, sie mit ein paar wenigen Eingaben aufzuspüren, wäre das ihr schlimmster Albtraum.
Nachdem ich meinen leeren Becher in den Mülleimer geworfen und die Computerkarte zurückgegeben hatte, hinterließ ich meine Telefonnummer beim Zöpfchen-Jungen, für den Fall dass Maggie auftauchen sollte. Ich hoffte nur, dass sie das nicht mit einem Schwanz und Fangzähnen tun würde.
Ich fuhr mit dem Taxi zu Rodolfo. Das Haus, in dem er wohnte, war typisch für diese Gegend: Geschäfte im Erdgeschoss, schmiedeeiserne Balkone mit Glastüren in den darüber liegenden Wohnetagen. Ein paar der Wohnungen hatten neue oder zumindest frisch gestrichene Fenster mit Körben voller Blumen, die in Kaskaden über die Geländer fluteten und auf deren Blüten zitternde Wassertropfen saßen, die langsam zu Boden perlten.
Rodolfo hatte nichts davon. Seine Fenster waren alt, eines davon sogar gesprungen, die Farbe war grau und blätterte ab. Es gab nicht eine einzige Blume. Wies sein mangelndes Interesse an Schöner Wohnen darauf hin, dass er nicht vorhatte zu bleiben? Oder hatte er einfach keine Lust, Zeit und Geld in etwas zu investieren, das er nicht mal sehen konnte?
Ich klingelte. Es dauerte so lange, bis er öffnete, dass ich schon versucht war, das kleine Fenster in der Tür einzuschlagen und mich selbst einzulassen, aber mir graute davor, wieder eine leere Wohnung vorzufinden – in der alle Dinge an ihrem Platz waren, aber ohne eine Spur von John.
Als er dann endlich an die Tür kam – die Sonnenbrille auf der Nase, das Hemd bis zur Taille aufgeknöpft, die Füße nackt und sein Bart verwilderter, als ich ihn je gesehen hatte –, murmelte ich: „Gott sei Dank!“
John fuhr wie von der Sonne geblendet zusammen, dann wich er in das Dämmerlicht zurück. „Gott lässt sich hier nicht mehr blicken, chica .“
Damit drehte er sich um und stapfte die Treppe hinauf, ließ die Tür dabei jedoch offen, was ich als Einladung auffasste.
„Das ist aber eine seltsame Bemerkung.“ Ich eilte ihm nach und wäre beinahe in ihn hineingelaufen, als ich die Diele erreichte, die den Blick auf das größte, leerste Wohnzimmer freigab, das ich je gesehen hatte.
„Wieso?“, fragte er.
Ich war keine große Philosophin, trotzdem glaubte ich, dass Gott hin und wieder vorbeischaute, und zwar meist dann, wenn wir nicht damit rechneten.
Was womöglich der Grund war, warum ich seine Präsenz bei meiner Suche nach Katie noch nicht gespürt hatte. Ich erwartete, dass er mir half. Warum tat er es nicht?
„Du musst fest daran glauben“, riet ich ihm. „An Gott.“
„Ich sagte nicht, dass ich nicht an ihn glaube.“
„Du tust es?“
„Selbstverständlich.“
Jetzt war es an mir zu fragen: „Wieso?“
Um seinen Mund zuckte ein Lächeln. „Zuerst bestehst du darauf, dass ich glauben soll, und dann willst du wissen, wieso ich es tue? Wie sind wir eigentlich auf dieses Thema gekommen? Oder vielleicht sollte ich besser fragen: Warum bist du gekommen?“
Ich war unsicher, was ich antworten sollte. Ich war ganz allein in dieser Stadt. Vertraute ich Rodolfo genug, um ihm zu sagen, was ich wusste? Oder wenigstens, welchen Verdacht ich hegte?
„Bist du ein Werwolf?“, platzte ich heraus.
Hinter seiner Sonnenbrille schossen seine Brauen nach oben. Ich befürchtete, dass er lachen oder verletzt reagieren würde, doch stattdessen entgegnete er völlig ernst: „Nein, chica , das bin ich nicht.“
Ich wünschte mir, seine Augen sehen zu können, um seine Aufrichtigkeit zu überprüfen, denn so hatte ich nicht mehr als sein Wort. Ich beschloss, darauf zu vertrauen.
„Ich habe letzte Nacht beobachtet, wie sich
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