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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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mitten im Reservat?«, fragte er.
    Die Frage war mir unangenehm, obwohl ich sie erwartet hatte. »Ich glaube, ich habe mich verfahren … Reservat? Heißt das, ich bin nicht mehr in Fall River County?«
    »Nein, Madam. Das hier ist Shannon. Sie sind in der Pine Ridge Reservation. Wir sind zwei Meilen von Wounded Knee entfernt. Das war der weiße Fluss, über den sie vorhin gefahren sind.«
    »Fluss?« Er war mir nicht einmal aufgefallen.
    »Ich glaube, ich sollte Ihnen erst einmal wieder in Ihren Wagen helfen.« Er schlenderte zu seinem Motorrad, kramte herum, kehrte mit einem Kleiderbügel zurück. »So einen hab ich immer dabei, falls ich einer Dame aus einer Verlegenheit helfen muss.« Er bog den Bügel zurecht und schob ihn dann durch den Türspalt. Eine Sekunde später war das Schloss offen.

    »Sie scheinen Übung darin zu haben«, sagte ich, aufrichtig bemüht, Konversation zu machen.
    »Hochnäsige weiße Schlampe«, sagte er.
    »Natürlich wollte ich damit nicht …«
    »Klar wollten Sie nicht.«
    Wir schwiegen. Er starrte mich an, als erwartete er, dass ich etwas sagen würde. Seine Augen glühten. »Na, Madam, ich schätze, Sie möchten gerne nach Winter Eyes eskortiert werden.«
    Ich zuckte zusammen. »Woher wissen Sie, wohin ich will?« Ängstlich sah ich mich um. Der Wind heulte, mein Haar wehte mir in die Augen. Er rührte sich nicht.
    »Ich weiß eine Menge über dich, Carrie Dupré«, sagte er.
    »Mein Name …« Ich machte einen Schritt zurück und tastete nach der Wagentür. Meine Finger schlossen sich um den eiskalten Griff. »Lassen Sie mich in Ruhe! Sind Sie irgend so ein Verrückter?«
    »Du denkst immer nur an Massenmörder, nicht wahr?« Er lächelte nicht. Seine Augen glitzerten im Dunkel durch die Haare, die ihm ins Gesicht wehten. »Wahrscheinlich weißt du eine Menge über uns Indianer. Du hast schließlich Cowboyfilme gesehen. Du glaubst, ich vergewaltige dich und skalpiere dich dann oder so. Scheiße, wahrscheinlich würde dir das sogar gefallen. Erkennst du mich nicht mal mehr? Scheiße, du hast dich einmal sogar dazu herabgelassen, mit mir zu bumsen. Aber in dem Drive-in war es dunkel. Und du warst vollkommen weggetreten. Und bei uns sieht ja einer so aus wie der andere. Du warst das kaltschnäuzigste Mädchen in ganz Berkeley, Carrie, und du hast dich kein beschissenes bisschen verändert.«
    »Himmel«, sagte ich, »du bist …«
    »Preston Bluefeather Grumiaux«, ergänzte er ruhig. »Ich arbeite jetzt Teilzeit für die Stammespolizei.«
    »Dr. Murphys Klasse. Indianische Studien. Du hast immer ganz hinten gesessen und dich über alles lustig gemacht. Sobald Murphy über etwas Ernstes sprechen wollte, hast du ›how‹
oder ›ugh‹ dazwischengerufen. Du hattest dich doch von allem losgesagt, was mit Indianern zu tun hatte. Was machst du hier draußen?«
    Er antwortete: »Ich habe mich getäuscht.«
    Wir schwiegen lange. Es war ein so unwahrscheinlicher Zufall, dass ich mich einfach nicht damit abfinden konnte. Ich erinnerte mich sehr gut an Preston Grumiaux. Er hatte vollkommen anders ausgesehen. Damals trug er Fassonschnitt und tat alles, um wie Cary Grants Doppelgänger herumzulaufen. Man hätte fast Mitleid mit ihm haben können.
    Wir waren einmal miteinander ausgegangen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, mit ihm geschlafen zu haben, aber vielleicht war ich zu bekifft gewesen. »Selbst wenn du Preston bist«, meinte ich schließlich, »erklärt das nicht, warum du weißt, wohin ich will.«
    »Ich bin nur Teilzeitpolizist«, antwortete er. »Ansonsten arbeite ich für das Institut. Ich schätze, Bekloppte ziehen mich irgendwie an. Dr. La Loge hat mich losgeschickt, Dummerchen. Du bist einen Tag zu spät dran, und sie machen sich langsam Sorgen. Sie glauben wahrscheinlich, ein Mädchen aus der Stadt schafft es nicht allein durch den Sturm.«
    »Ich habe in Laramie gewartet, bis der Blizzard vorüber war«, erwiderte ich und rückte mir selbstbewusst das blonde Haar zurecht. »So blöd bin ich nicht.«
    »Klaro nich’.«
    »Mein Gott, seit wann sagst du ›klaro‹?«
    »Ich bin euch und eure supertollen Wörter leid, schätze ich. Eines habe ich immerhin gelernt. Ich bin keiner von euch. Ich mag keine Hamburger, und wenn ich jemals wieder ein Glas Mayonnaise sehe, muss ich kotzen. Ich habe meinen Uni-Blazer verbrannt. Ich war für diese Hurensöhne sowieso bloß ein Alibi. Sie waren ja so scheißliberal! Ich bin keiner von euch. Lamakota! Weißt du, was das heißt? Ich bin

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