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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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und verschlang sie. Sie schmeckte nach Erregung. Das trieb ihn zum Wahnsinn. Er warf sich auf den Leichnam wie ein Liebhaber.
    Und Claggart schaute zu. Seine Augen waren in die Ferne gerichtet, aber immer wieder stieß er ein vollkommen unmotiviertes, wildes Lachen aus. Endlich, fast zögernd; warf er sich auf die beiden und peitschte die Hinterläufe des Wolfes mit einer silberbeschlagenen Rute. Der Wolfsjunge jaulte. Und Claggart umarmte die tote Frau und die Bestie, stieß ein paar Mal zu und ejakulierte. Samen vermischte sich mit Blut und verklebte das Fell des Jungwolfes.
    »Zeit für dich zurückzugehen«, sagte Claggart.
    Der Wölfling heulte protestierend.
    »Hinein!«, befahl Claggart und ließ die Rute scharf auf die Schnauze des Wolfes niederfahren.
    Und drückte ihn in den Käfig, donnerte die Tür zu und warf das Samttuch wieder darüber.

    Und Jonas spürte die Verwandlung. Er sah Menschenhände aus pelzigen Schultern treten. Die Klauen zogen sich zurück. Es wurde schnell dunkler, denn Claggart zog das Tuch über die Käfigwände. Bald sah er nichts mehr. Er hörte Schaben und Kratzen; Claggart arrangierte das Zimmer um, damit es so aussah, als wären sie angegriffen worden. Später würde er sich ein Messer in den linken Arm stoßen, um einen Kampf mit einem imaginären maskierten Fremden vorzutäuschen.
    Man würde ihm glauben. Claggart besaß eine magische Begabung, mit Menschen zu sprechen - es war wie Musik. Nicht die primitive Musik seiner früheren Existenz, sondern eine lebhafte, lebendige Melodie von Blut und Lust - und Tod.
    Tief in seinem Geist regten sich Stimmen. Er hörte nicht hin. Die anderen scherten ihn nicht mehr. Es ist meine Zeit, nicht ihre, dachte er. Und ich habe einen Vater.
    Einen Vater, der mich liebt, dachte er, und sein Fleisch zeigte Schwären, wo die Peitsche es getroffen hatte.
    Und er hörte Claggarts Stimme: »Ich schätze, wir haben das alte Märchen umgedreht. Du bist der Wolf, und ich bin das Schwein, aber du bist im Haus gefangen, und ich puste und puste dein Häuschen bis in die Hölle.«

4
    Evanston, Wyoming-Territorium
    Vollmond
     
    Stadt um Stadt, eine so trübselig wie die nächste, alle entlang der Southern Pacific Railway, die sich durch Berge und Wüsten fädelte.
    »Mrs. Dupré?«
    Speranza hatte im Speisewagen gesessen und zugeschaut, wie sich die Landschaft vor ihr abspulte. Der Mond war hinter
fernen Hügeln aufgegangen. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, um die Kälte abzuwehren. Das Rattern, das Pfeifen der Lokomotive, das Summen der Fensterscheibe, wenn sie mit ihrem seidenen Puffärmel darüberwischte - diese Geräusche waren ihr so vertraut, dass sie sie kaum mehr wahrnahm. Aber sie war noch nie im Herbst gereist. Als sie die Berge hinter sich ließen und die Nadelbäume dem Laubwald wichen, hatte sie versucht, Farben zu zählen; eine Beschäftigung, um sich von den Gedanken an all das Schreckliche abzulenken, das sie erwartete.
    »Mrs Dupré? Soll ich Ihre Suppe mitnehmen?«
    Sie hatte das Krabbenconsommé nicht angerührt. Aber sie lächelte nur und ließ es den Ober abräumen.
    Wie es seine unkomplizierte Annäherung in San Francisco schon vermuten ließ, war William Dupré ein höchst unkonventioneller Ehemann. Obwohl sie schon vierzehn Tage nach ihrer Ankunft geheiratet hatten, hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass diese Ehe nur dem Namen nach Bestand haben sollte, denn Mr Dupré hatte nur wenig für das andere Geschlecht übrig. Die Ehegatten taten sich damit gegenseitig einen Gefallen: Er würde dem Kind seinen Namen und ein Vermögen vererben; sie würde ihm als respektable Fassade dienen, hinter der er gewissen Bedürfnissen nachgehen konnte.
    Die Leidenschaften ihres Gatten hatten sie bei ihren seltenen Zwiegesprächen nie erörtert. Sie hatte sich aus einem belauschten Wortwechsel der Angestellten untereinander zusammengereimt, dass sie etwas mit seinen häufigen Besuchen in den sogenannten »Pfahlhäusern« San Franciscos zu tun hatten; diese Institutionen wurden nach der orientalischen Sitte benannt, die Ware auf eingefetteten Pfählen auszustellen, sodass der Kunde die Kapazität der diversen rückwärtigen Eingänge ermessen konnte. Mehr wollte Speranza gar nicht wissen.
    Jedenfalls war Mr Dupré freundlich zu Speranza und ihrem Sohn, den er in einem Anfall unangebrachten Stolzes William
jr. taufte. Sie liebte ihren Sohn, schenke ihm all ihre Zeit und dachte nur noch selten an jenes andere Kind, das für immer in den Klauen

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