Wolfsruf
knallten Peitschenhiebe - eine Frau schrie - eine Frau wurde vergewaltigt, direkt unter einer Büste von Königin Victoria, die ernst auf ihrem grünen Marmorsockel stand.
Um ihre unausgesprochene Frage zu beantworten, sagte Johnny: »Das Irrenhaus. Ich wurde hierhergebracht, nachdem es passiert war …«
»Was war passiert?«, fragte Speranza.
Das Irrenhaus löste sich auf - jetzt standen sie an einer Kreuzung, der Wind heulte - heulte, um sie herum graue, verfallene Gebäude, urinfleckige Wände mit losem Mörtel - Whitechapel.
Plötzlich klammerte sich der Junge verängstigt an sie, auch wenn in seiner Angst Lust mitschwang, und er jammerte: »Speranza … Speranza … Mutter.«
Wütende Männer schaufelten die Kreuzung auf. Schleiften eine Frau über die Pflastersteine. Die Frau trug Lumpen. Die Augen der Frau waren schreckgeweitet. Ihr langes, blondes Haar war fettig, die Ähnlichkeit von ihrem und Johnnys Gesicht
war unverkennbar. »Begrabt sie bei lebendigem Leibe!«, grölte jemand. »Das hat sie verflucht noch mal verdient …«
»… exekutiert, weil sie ihre fleischlichen Lüste mit einem Wolf befriedigt hat …« Eine zweite Stimme, ernst, tief, weihevoll - sie wusste nicht, ob die Stimme aus Johnnys Erinnerung oder aus ihrem Erlebnis mit der Chinesin in Lead herrührte.
Speranza sah einen kleinen Jungen herbeilaufen, der ihr nachbrüllte: »Mutter! Mutter!« Und die Frau schaute ihn mit gebrochenen Augen an, denn sie wusste, dass sie bald sterben würde.
Hässliche Fratzen. Verzerrt. Geifernd. »Man muss sie an einer Kreuzung begraben …«
Die auf dem Boden liegende Frau blickte zu dem Jungen, und Speranza sah sie mit Kinderaugen - sah sich selbst.
Ein schwarz gekleideter Reiter beobachtete das Ganze aus dem Schatten eines Hauses.
Die Frau wandte sich dem Mann in Schwarz zu. Flehte. Der Mann sagte nichts, tat nichts. Der Pferdeatem hing schwer in der kalten Luft. Es war noch früh am Morgen. Blut strömte aus der Nase der Frau und aus den Einschnitten an Armen und Wangen. Ein Mann im Gehrock prügelte mit seinem Spazierstock auf sie ein.
»Mutter, Mutter …«, weinte der Junge an Speranzas Hand, ein kleiner, höchstens dreijähriger Junge - ein Junge namens Jonas Kay.
Sie hoben ihr Grab aus. Sie schlugen sie mit Stöcken und Latten. Sie vergewaltigten sie, während sie sie bei lebendigem Leibe begruben. Der Junge fühlte ihren Schmerz. Er roch den nahenden Tod. Er versuchte, sich aus dem Griff der Männer zu lösen, die ihn festhielten, versuchte, zu ihr zu laufen. Die Männer drängten sich um das Grab, glotzten hinunter zu der um sich schlagenden Frau. Hass schoss durch Jonas’ Adern. Hass verlieh ihm unglaubliche Kraft. Er riss sich los und rannte zu der Frau, aber sie war bereits tot, ihr Genick gebrochen -
ein Mann bearbeitete mit heruntergezogenen Hosen und zitterndem Hintern die Tote.
Und Johnny drehte sich zu dem Mann in Schwarz um und brüllte: »Nein, nein, nein, ich lauf nicht in deinem Rudel, nein, nein, ich bin ich, ich, ich allein, allein, allein!« Der Mann blickte mit unbewegtem Gesicht von seinem Ross herab, und Speranza schaute in seine Augen und erkannte den Mann, der sie geliebt hatte, und das Tier, das sie besessen hatte, und er starrte über den Abgrund der Zeit zu ihr zurück und bat sie um Verzeihung, und schließlich senkte er den Blick und gab seinem Pferd die Sporen, und die Hufe klapperten über die gepflasterte Straße. Zorn explodierte in Jonas, zu gewaltig für einen einzigen Menschen, und Schaum floss ihm aus dem Mund, und er knurrte und fauchte die Männer an, die um das Grab herumstanden. Die Frau lag halb begraben im Straßenschmutz mit roten Lippen und einem roten Striemen auf der linken Wange und - wutentbrannt sprang er den Mann mit den heruntergelassenen Hosen an und biss ihm den Penis ab und spuckte ihn aus, und der Mann schrie gellend auf und konnte das Blut nicht zurückhalten, und Jonas war umzingelt, und er brüllte aus Leibeskräften nach dem Mann in Schwarz, aber die anderen kamen immer näher und verdeckten das Licht und hüllten ihn mit ihrem schweißigen Geruch ein, und sie kamen immer näher und - kamen immer näher und - kamen näher und - näher - näher.
Und dann war Johnny da, Johnny, der Schmerzen empfinden, der weinen konnte -
Und Speranza umarmte Johnny und tröstete ihn und sagte: »Es ist alles vorbei …«
»Aber du kennst den Mann in Schwarz?«
»Ja«, sagte Speranza. »Aber … er wollte es nicht … ihn plagte ein eigener
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