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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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Beispiel?«
    »Wölfe.«
    »Bitte?«
    »Im Elm leben seit dem letzten Winter einige Wölfe – wahrscheinlich
sind sie aus Sachsen eingewandert, das vermuten jedenfalls die Fachleute.
Allerdings stößt das nicht nur auf Zustimmung.«
    »Du liebe Güte – ja, das kann ich verstehen.«
    Emilie warf ihm einen scharfen Blick zu. »Das ist doch Quatsch! Abgesehen
davon ist die Ablehnung bei einigen so groß, dass sie die Tiere kurzerhand
töten.«
    »Du machst Scherze!«
    »Sehe ich so aus?«
    Nein, dachte Tibor. Ganz und gar nicht. Das Scherzen ist dir wohl
schon vor längerer Zeit vergangen. Leider.
    »Ich habe ein totes Tier mit eigenen Augen gesehen und bin davon
überzeugt, dass es nicht das einzige Opfer ist. Der Wolf ist mit einem Pfeil
abgeschossen worden, doch das kann ich leider nicht beweisen. Als der Förster
eintraf, war der Kadaver verschwunden, und die Polizei macht sich seitdem
lustig über mich – oder ist genervt.«
    Tibor lehnte sich zurück und schwieg. Emilie war sichtbar in Fahrt
gekommen. Ihre Wangen hatten sich gefärbt, und ihre Augen blitzten
angriffslustig. Er wusste nur nicht, ob ihm das gefiel und er Lust hatte,
tiefer in dieses Thema einzusteigen, das offensichtlich ihr Steckenpferd war.
Wölfe im Elm, auf die mit Pfeil und Bogen Jagd gemacht wurde? Ein Tierkadaver,
der plötzlich verschwand?
    Emilie beobachtete sein Mienenspiel. »Ich sehe schon – nicht
dein Fachgebiet. Lassen wir es. Obwohl ich angenommen hatte, dass du als
Naturfotograf ein anderes Verständnis für Wildtiere aufbringen würdest, noch
dazu für solche, die der Mensch fast ausgerottet hatte. Fast …« Sie brach
ab.
    Tibor entschied sich, nicht auf die Spitze einzugehen. »Ich höre zum
ersten Mal davon, und das Ganze klingt ein bisschen … verrückt, jedenfalls
wenn man bedenkt, dass wir uns in Niedersachsen befinden.«
    »Da gebe ich dir recht.« Emilie kratzte die Reste des Milchschaums
aus dem Glas. Dann schob sie es über den Tisch. »Ist ja auch egal. Sag mal –
wenn du schon hier bist, reitest du sicherlich auch mal wieder ‘ne Runde,
oder?«
    »Lust hätte ich schon. Unterwegs komme ich kaum dazu«, erwiderte
Tibor, erleichtert über den Themenwechsel. »Apropos – erinnerst du dich
noch an Steffen? Er war vor zehn Jahren als Reitlehrer hier beschäftigt.«
    Emilie lächelte. »Und ob ich mich erinnere.« Sie lächelte noch tiefer.
»Du hattest was mit ihm, nicht wahr?«
    Tibor strich sich durchs Haar. »Kann man so sagen.« Um ehrlich zu
sein, es war die heißeste Affäre, die ich je hatte, dachte er. »Und
wahrscheinlich war ich nicht der Einzige in Steffens Liebesleben, nicht mal in
den paar Wochen damals«, fügte er hinzu.
    Emilie nickte. »Das glaube ich gerne. Der soll es ziemlich wild getrieben
haben.«
    Und ob, pflichtete Tibor ihr im Stillen bei. Der einzige Maßstab,
den Steffen in Liebesdingen hatte gelten lassen, war sein Lustempfinden
gewesen. Erneut spürte er einen feinen Stich und versuchte, ihn zu ignorieren.
Steffen hatte sich andauernd verliebt, und sei es nur für einige Stunden,
Minuten oder gar Augenblicke, und Sex war für ihn wie Essen, Musik hören und
tanzen. Ein sinnliches Erlebnis, das in ständig wechselnden Variationen möglich
war. Es gehörte zu vielen Begegnungen dazu, und niemand hatte das Recht, es von
einem Menschen ganz für sich allein zu beanspruchen, schon gar nicht von ihm.
    Manchmal hatte Steffen von seinen Affären erzählt – mit anderen
Männern, jungen und älteren, mit Frauen. Junge Frauen interessierten ihn
vergleichsweise wenig. Und während er in allen Einzelheiten darin schwelgte,
lachte er vergnügt und ließ offen, ob die Geschichten lediglich seiner
Phantasie entsprangen oder ob er sie tatsächlich erlebt hatte, wann und wo und
mit wem auch immer. Tibor, der Romantiker, der klammheimlich von einer
Beziehung mit Steffen geträumt hatte, war immer hingerissener gewesen, und
seine Faszination war mit jedem Tag gewachsen, obwohl er doch hätte wissen
müssen, dass Schmerz und Enttäuschung vorprogrammiert gewesen waren. »Ich weiß,
dass du leidest«, hatte Steffen mal gesagt – das war wenige Tage vor
Tibors Abreise gewesen. »Das gibt mir Halt.«
    Ein Satz, den Tibor nie verstanden hatte und der sich ihm auch viele
Jahre später nicht erschloss. Er wischte ihn beiseite und blickte Emilie an.
»Arbeitet er nicht mehr hier?«
    »Schon lange nicht mehr«, entgegnete sie und setzte plötzlich ein
nachdenkliches Gesicht auf. »Von einem Tag auf den anderen

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