Wolfstage (German Edition)
– und danke, Schuster.«
Robert Lindner sah nicht nur von Weitem aus wie Buster
Keaton, auch im Näherkommen bestätigte sich dieser Eindruck. Schließlich stand
ein zierlicher Mann mit schwarzem Haar und ernstem Gesichtsausdruck vor ihr und
begrüßte sie höflich. Johanna vermutete, dass Lindner generell zu Wehmut
neigte, denn die tief eingegrabenen Linien um den Mund und diese
melancholischen Augen konnten nicht das Ergebnis einiger kummervoller Tage
sein. Hoffte sie zumindest.
Lindner hatte an der Westseite des Doms auf einer Bank an einem
Teich gesessen und war ihr nach anfänglichem Zögern rasch entgegengekommen.
Offensichtlich hatte Schuster auch sie anschaulich beschrieben.
»Vielen Dank, dass Sie einem Treffen zugestimmt haben«, sagte
Johanna.
»Das ist doch selbstverständlich.« Er wies auf die Bank. »Setzen wir
uns in den Schatten?«
»Gern.«
»Die Bank hier ist so was wie mein Stammplatz, wenn ich Ruhe suche.
Im Moment nehme ich mir eine Auszeit, sooft es geht.«
Johanna nickte. »Es ist sehr schön hier. Friedlich.«
Robert Lindner blickte einigen Enten nach, die träge vorbeischwammen,
ohne sie eines Blickes zu würdigen.
»Meine Frau sagte mir, dass es nach wie vor kein Zeichen von Kati
gibt«, hob er schließlich an und wandte sich wieder Johanna zu. »Aber Sie sind
sicherlich nicht extra aus Berlin angereist, um unsere Tochter zu suchen, oder?
Was Ihnen zu denken gibt, ist ein eventueller Zusammenhang mit dem Unfall Ihres
Kollegen, nicht wahr?« Er lächelte ebenso abrupt wie flüchtig.
»Unter Umständen hängen beide Ereignisse zusammen – ich bin
hier, um das zu überprüfen.«
»Ich bin beunruhigt«, sagte Lindner. »Wenn ich eins und eins zusammenzähle,
muss ich zumindest den Gedanken zulassen, dass Ihr Kollege keinen normalen
Unfall hatte, und dann ist es nicht allzu schwer, darauf zu schließen, dass
Kati –«
»Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen«, unterbrach Johanna ihn
hastig. »Wahrscheinlich würde ich an Ihrer Stelle ähnlich reagieren. Dennoch:
Bislang gibt es nur diesen Anruf als Verbindung zwischen Maybach und Ihrer
Tochter, nicht mehr und nicht weniger.«
Lindner musterte sie aufmerksam. Plötzlich wurde sein Blick scharf,
und die Traurigkeit, die sein Gesicht bislang beherrscht hatte, wich einem
harten Zug. »Das ist alles?«
Johanna stutzte kurz. »So ist es, Herr Lindner. Ich bin schlicht und
ergreifend auf der Suche nach Anhaltspunkten, die vielleicht die Hintergründe
des Verschwindens Ihrer Tochter erhellen. Ich betone: vielleicht. Und dazu muss
ich möglichst viel über sie wissen. Also: Wie war Ihre Beziehung zu Kati? Hat
es in letzter Zeit häufiger mal Streit gegeben?«
Lindner sah sie verdutzt an, überlegte und schüttelte schließlich
den Kopf. »Nein. Es war alles wie immer. Wobei Kati Streitgespräche durchaus
geliebt hat. Sie konnte sich in ihre jeweils angesagten Themen durchaus
verbeißen. Vielleicht …«
»Ja?«
»Wenn ich jetzt darüber nachdenke – und das tue ich oft, wie
Sie sicher verstehen –, könnte man durchaus sagen, dass sie in den letzten
Tagen vor ihrem Verschwinden … ja, unzufriedener wirkte als sonst. Und
auch verschlossener, dann wieder hektisch und albern … Aber vielleicht
messe ich dem jetzt auch zu viel Bedeutung bei.«
»Können Sie das genauer beschreiben? Hatte es mit der Arbeit zu tun?
Oder war es eher privater Natur?«
»Ich weiß es nicht.« Er zuckte mit den Achseln. »Schließlich war sie
kein kleines Kind mehr – da fragt man doch nicht bei jeder Unpässlichkeit,
bei jedem mürrischen Gesichtsausdruck ganz genau nach.«
»Sagt Ihnen der Name Emilie Funke etwas?« Das war nur so eine Idee,
ein Bauchgefühl, dem Johanna ohne nachzudenken folgte.
»Ja, den Namen habe ich schon gehört«, sagte Lindner nachdenklich.
»Kati hat ihn erwähnt.«
»Sie ist Journalistin.«
»Genau. Die Verrückte mit ihren Artikeln über die Wölfe! Selbstverständlich
hat meine Tochter sich mit ihr solidarisiert. Wir haben darüber diskutiert,
heftig diskutiert, um genau zu sein, als ich ihr erzählte, dass einer meiner
besten Freunde, übrigens ein Landwirt und Schafzüchter, alles andere als
begeistert über das Auftauchen der Wölfe ist. Wenn man Angst um sein Vieh haben
muss, kann man sich romantische Anwandlungen eben nicht leisten.« Lindner war deutlich
lebhafter geworden.
»Das hat Kati anders gesehen?«
»Natürlich! Lies doch mal genauer, was die Emilie Funke darüber
schreibt, hat sie mir empfohlen. Und
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