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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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Walter, mein Freund, hätte einfach keine
Ahnung und wäre nur zu bequem, um sich mal auf etwas anderes einzulassen. Eine
tatsächliche Bedrohung durch die Wölfe existiere nur in den Köpfen der Leute
und so weiter und so fort: wie junge Leute eben diskutieren. Sehr engagiert und
einseitig.« Ein warmes Lächeln flog über Lindners Gesicht.
    »Könnte man sagen, dass die beiden befreundet waren, Funke und Ihre
Tochter?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Es klang eher so, als hätten sie sich
mal in der Buchhandlung unterhalten, und Kati hat ihre Artikel gelesen und sich
über das Thema informiert. Außerdem bewundert sie Menschen, die gegen den Strom
schwimmen und zu ihrer Meinung stehen.«
    »Verstehe.«
    Die Auffassungen einer Rebellin waren für eine junge aufgeweckte
Frau natürlich hundertmal interessanter als die Meinung eines Landwirts, der
die schnöden Anforderungen des Alltags bewältigen musste, vielleicht Geldsorgen
hatte, und dem die Kraft fehlte, »sich mal auf etwas anderes einzulassen«,
dachte Johanna. Oder die Offenheit. Oder der stur war und sich einfach nicht in
sein tägliches Geschäft hineinreden lassen wollte, wie das die schreibende
Zunft nur allzu gern tat – auf womöglich arrogante und selbstverliebte
Art. Johanna hatte durchaus ein Herz für Rebellinnen, aber wenn es um
Schreiberlinge ging … Sie hatte einige kennen-und nicht gerade schätzen
gelernt.
    »Eine Frage noch, Herr Lindner«, fuhr Johanna fort. »Ihre Tochter
wohnt noch zu Hause, obwohl sie bereits Mitte zwanzig ist. Das ist eher
ungewöhnlich, noch dazu bei einer so selbstbewussten und auch finanziell auf
eigenen Füßen stehenden jungen Frau.«
    »Stimmt, aber wir haben viel Platz und verstehen uns gut. Darüber
hinaus hat Kati in letzter Zeit nach einer eigenen Bleibe Ausschau gehalten.«
    »Gab es einen besonderen Anlass?«
    »Sie meinte, dass es Zeit würde, richtig flügge zu werden.« Lindner
räusperte sich und blickte zur Seite.
    Johanna wartete, bis er sie wieder ansah. »Sie melden sich, wenn
Ihnen noch etwas einfällt?«, schob sie dann hinterher.
    Er nickte, und sie standen gleichzeitig auf.
    »Danke erst mal für Ihre Auskünfte.«
    »Da gibt es wohl nichts zu danken.«
    Robert Lindner drehte sich um und ging auf den Dom zu. Johanna sah
ihm nach. Einige Töne eines Orgelspiels drangen nach draußen, als er die Tür
öffnete.

4
    Auf den ersten Blick hatte sich wenig verändert. Bis auf
ein paar notwendige Renovierungen und eine deutlich üppigere Bepflanzung des
Hofes schien die Zeit in der Reitanlage still gestanden zu haben. Tibor machte
einen Rundgang durch die Ställe und übers Gelände, nachdem er ein geräumiges
Zimmer mit Dusche und Kochnische unterm Dach bezogen hatte. In der »Tränke«,
dem vereinseigenen Lokal, das auch Nicht-Mitgliedern offenstand, genehmigte er
sich anschließend ein Omelett mit Salat und Baguette und blätterte während des
Essens im Infoblatt des Reitvereins.
    Die Psychiaterin Dr. Helen Hildmann bot nach wie vor
therapeutisches Reiten an, und ihr Sohn Milan – damals ein ebenso aufmüpfiger
wie talentierter Junge, der sich ständig lautstark mit seinem älteren Bruder
Henrik gestritten hatte – war inzwischen zweiundzwanzig Jahre alt und
leitete eine Voltigiergruppe für Kinder. Tibor erinnerte sich gut daran, dass
dem hübschen Milan trotz seiner vorlauten Art die Herzen nur so zugeflogen
waren, während der mürrische Henrik stets das Nachsehen gehabt hatte. Helens
Mann, Alexander Hildmann, ein Computerexperte mit eigener Firma, war der
Einzige aus der Familie gewesen, der sich nur selten im Reitstall hatte blicken
lassen.
    Tibor überflog das Protokoll der letzten Vereinssitzung und blieb
kurz an dem Namen Erika Seibert hängen, einer weit über den Landkreis hinaus
bekannten Architektin, die dem Verein für die Anschaffung eines weiteren
Pferdes eine großzügige Summe gespendet hatte. Er verzog den Mund. Jede Wette,
dass sie den Betrag aus der Portokasse bezahlen konnte. Ihr Mann Volker Seibert
war schon während Tibors Schulzeit die Karriereleiter bei VW im Eiltempo hochgeklettert, und Sohn Moritz hatte
vor zehn Jahren, mit ungefähr siebzehn, natürlich stets Einzelunterricht
gehabt, bei Steffen persönlich. Die Seiberts und Hildmanns waren eng
miteinander befreundet, erinnerte sich Tibor. Vermögende und einflussreiche
Familien, die den Ton angeben, halten zusammen, dachte er und war verwundert
über den galligen Zorn, der plötzlich in ihm hochschwappte.
    Er hielt kurz

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