Wolfstage (German Edition)
Kommissarinnen und Polizisten immer fair
sein mussten? Johanna seufzte.
Es klopfte, und Dieter Schuster trat ein. »Das ging ja flott.« Er zeigte
mit dem Daumen nach hinten. »Die Funke hat es ziemlich eilig, hier wieder
rauszukommen.« Er wirkte alles andere als betrübt.
»Was genau ist eigentlich vorgefallen?«, fragte Johanna.
»Sie hat vor einiger Zeit mal Anzeige erstattet, weil sie im Elm beim
Wandern mit ihrem Hund einen toten, sprich: ermordeten Wolf entdeckt zu haben
meinte. Sie hat den Förster informiert, aber der hat nichts gefunden, als er an
der von Funke beschriebenen Stelle eintraf, und auf den Fotos, die sie mit
ihrem Handy gemacht hatte und hier Nabold und einem anderen Kollegen
präsentierte, war beim besten Willen nichts Eindeutiges zu erkennen gewesen –
so ungefähr haben die Kollegen es berichtet, ich selbst hatte damals gerade
Urlaub.« Schuster atmete laut aus.
»Davon abgesehen sind ihre Artikel nicht mal annähernd sachlich.
Können sich eben nicht alle dafür begeistern, wenn plötzlich Wölfe durchs
Gelände schleichen, und nicht jeder, der deswegen Angst oder Bedenken hat, ist
ein psychopathischer Spinner oder gar Wolfsmörder! Das haben sogar die Experten
aus der Lausitz, die hier in der Gegend Aufklärungsarbeit geleistet haben,
zugegeben.« Schuster schien sich intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt zu
haben.
Johanna nickte nachdenklich. »Funke hat erwähnt, dass manchmal Leute
um ihr Haus schleichen.«
»Sie sagt auch, dass sie manchmal die trauernden Wölfe heulen hört
und dass sie davon überzeugt ist, dass es noch mehr ermordete Tiere gibt. Nur
außer ihr kriegt das scheinbar niemand mit. Wenn Sie mich fragen: Ganz frisch
ist die nicht. Hat vor einigen Jahren übrigens ihren Mann verloren und dann
ihre Großmutter bis zum Tod gepflegt. Vielleicht ist sie darüber ein bisschen
wunderlich geworden.«
Er meint: durchgeknallt, dachte Johanna. »Ich verstehe durchaus, was
Sie meinen. Nur völlig ignorieren können wir ihre Einlassungen nicht.«
»Ich weiß. Mögen Sie einen Kaffee?«
Johanna lächelte. »Und ob. Der wäre jetzt sozusagen meine Rettung.«
»Ein Stück Kaiserdom-Torte dazu?«
»Sie sind ja wie eine Mutter zu mir!«
Schuster wurde feuerrot und wandte sich eilig ab, während Johanna
überlegte, ob ihre Mutter sie in den letzten zwanzig Jahren je mit einem Stück
Kuchen überrascht hatte. Von Kaiserdom-Torte ganz zu schweigen.
Der Karton mit Wiebors Sachen enthielt ein gutes halbes Dutzend
Tageszeitungen, drei regionale Anzeigenblätter, einige zerlesene Taschenbücher
und zwei Straßenkarten. Johanna hatte sich mit einem zweiten Kaffee in ein
winziges Büro zurückgezogen und die Zeitungen gerade auf dem Schreibtisch
ausgebreitet, als ihr Handy klingelte.
»Hier spricht Mathias Weber«, meldete sich eine angenehme Stimme. » BKA . Grimich hat mir Ihre Nummer gegeben. Es geht um
Lenni. Wir haben vor einiger Zeit mal zusammengearbeitet. Ich hoffe, ich kann
Ihnen irgendwie helfen.«
Johanna benötigte zwei Sekunden zum Umschalten. Sie schob die Bücher
beiseite und legte ihr Notizheft zurecht. »Ja, das hoffe ich auch. Danke für
Ihren Anruf.«
»Keine Ursache. Wie geht es ihm?«
»So schlecht, dass der Arzt sich noch nicht äußern will. Er befindet
sich im künstlichen Koma, und sie können noch keine Prognose stellen,
insbesondere in Bezug auf die Kopfverletzungen. So die Kurzfassung.«
»Scheiße.«
»Sie sagen es. Gleich vorweg: Wissen Sie im Einzelnen, womit Lennart
in den letzten Wochen beschäftigt war?«, fragte Johanna, obwohl sie nicht
wirklich annahm, hierauf eine befriedigende Antwort zu erhalten.
»Natürlich nicht.«
»Dachte ich mir.« Johanna seufzte. »Na schön. Aber Sie kennen ihn
ganz gut, wissen, wie er arbeitet, und so weiter?«
»So ungefähr.«
Johanna seufzte erneut, dann schob sie ihren aufsteigenden Unmut
beiseite. »Kennt der Kollege sich gut mit Autos und Motorrädern aus?«
»Na klar«, antwortete Mathias Weber sofort. »Das ist ein richtiger
Freak – kann jeden Motor zerlegen und auch wieder zusammenbauen, und zwar
so, dass er einwandfrei funktioniert.«
»Wie schätzen Sie seine Fähigkeiten als Motorradfahrer ein?«
»Er fährt flott … ja, zugegeben: auch mal riskant, aber nur
wenn er die Situation unter Kontrolle hat. Er weiß, was er der Maschine zumuten
und was er selbst leisten kann.«
Johanna machte sich eine Notiz. »Halten Sie es für möglich, dass es
ihn aus einer zwar lang gestreckten, aber
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