Wolfstage (German Edition)
haben,
steckte er zwischen zwei Werbesendungen.«
»Gut.«
»Wollen Sie die auch mitnehmen?«
»Was? Die Werbesendungen?«
»Ja, darauf könnten doch noch Spuren sein, die zur Analyse taugen.«
»Wahrscheinlich sind da mehr Spuren drauf, als wir beide zählen
können«, gab Johanna leicht belustigt zurück. Wieder jemand, die auf »CSI«
steht, dachte sie.
»War ja nur so eine Idee …«
»Ja, ich verstehe. Danke für den Hinweis.«
Zwei Minuten später hatte Johanna sich verabschiedet und stand
wieder auf der Straße. In der Hand einen Pfeil, den sie eine Weile verwundert
betrachtete, bevor sie in ihren Wagen stieg und ihn in einer Plastiktüte in
ihrem Rucksack verstaute. Dann griff sie kurzentschlossen nach ihrem Handy und
rief Staatsanwältin Kuhl an, die sicherlich längst im wohlverdienten Wochenende
war, aber darauf mochte Johanna keine Rücksicht nehmen.
Vielleicht war es verrückt, der Sache nachzugehen. Aber lieber drei
Spuren verfolgen, die ins Nichts führten, als eine zu ignorieren, die sich
später als wichtig erweisen könnte. Johanna brauchte kurzfristig einen Termin
in der KTU Braunschweig, und wenn da jemand Dampf
machen konnte, dann die toughe Staatsanwältin.
Die Kriminaltechnikerin hieß Marion Nadler, war höchstens
Ende zwanzig, schmächtig wie ein Kind und hatte erstaunlich gute Laune, wenn
man bedachte, dass der Freitagabend bereits als fortgeschritten bezeichnet
werden konnte und Annegret Kuhl sie höchstpersönlich an ihren Arbeitsplatz
zurückbeordert hatte – womöglich völlig umsonst.
Johanna sah sich in dem gut ausgerüsteten Labor um, während sie
Nadler in einen Nebenraum folgte. Sie war immer noch verblüfft, dass Kuhl so
prompt reagiert und ohne zu zögern sofort die erforderlichen Maßnahmen
eingeleitet hatte. Nicht mal der Hauch eines Zögerns war ihr anzumerken
gewesen. Immerhin bestand eine relativ große Chance, dass der Pfeil nichts,
aber auch rein gar nichts mit Kati Lindner zu tun hatte. Und mit Wiebor noch
viel weniger.
Marion Nadler blieb vor einem blank gewienerten Tisch stehen und zog
sterile Handschuhe an. »Dann zeigen Sie mir mal das gute Stück.«
Johanna legte die Tüte mit dem Pfeil auf den Tisch.
»Staatsanwältin Kuhl meinte, dass Sie genau die Richtige sind, um
mir weiterzuhelfen«, erklärte sie höflich. »Was für ein Pfeil ist das? Und
lassen sich unter Umständen noch Spuren sichern und analysieren?«
Die Technikerin zog den Pfeil aus der Tüte und nahm ihn behutsam in
beide Hände, um ihn von allen Seiten eingehend zu betrachten.
»Interessant«, meinte sie schließlich.
»Ja? Warum?«
»Das ist ein ganz spezieller Pfeil – ein sogenannter Bolzen für
eine Armbrust.«
»Aha, und woran erkennen Sie das?«
»Er hat keine Kerbe am hinteren Ende, da er ja nicht an der Sehne
einnocken muss, wie es so schön heißt, sondern in eine Bolzenrinne eingelegt
wird.«
»Hm.«
»Das stumpfe Ende nennt man übrigens Beschneidung.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Müssen Sie nicht.« Nadler lächelte. »Ich bin seit vielen Jahren Bogenschützin
und kenne mich natürlich ganz gut mit den verschiedenen Geräten und Techniken
aus.«
Johanna war noch beeindruckter. Sie hatte Mühe, sich vorzustellen,
wie die zarte Frau mit Pfeil und Bogen umging.
»Mit dieser Eisenspitze hier ist übrigens nicht zu spaßen«, fügte
Nadler hinzu.
Johanna blickte sie neugierig an. »Könnten Sie konkreter werden?«
»Klar. Wenn so ein Bolzen mit einer Armbrust abgeschossen wird, können
auch relativ ungeübte Schützen sicher ihr Ziel treffen und, nur mal so am
Rande, töten.«
Nur mal so am Rande töten, wiederholte Johanna lautlos. Plötzlich
beschlich sie ein flaues Gefühl. Sie sah Nadler an. »Können Sie ein paar
aussagekräftige Fotos für mich machen?«
»Natürlich – die können Sie auch gleich mitnehmen. Für die Analysen
brauche ich aber ein bisschen Zeit.«
»Kein Problem. Danke für die Infos. Die könnten sich als sehr wichtig
erweisen.«
Johanna zog die Akte aus ihrem Rucksack, sobald sie im
Wagen saß, und suchte die Telefonnummer der Lindners heraus. Sie war zwar
sicher, dass Kati Lindner keine aktive Sportschützin war – das wäre bei
den Zeugenbefragungen mit Sicherheit zur Sprache gekommen. Aber vielleicht
kannte sie ja jemanden, der sich diesem Sport verschrieben hatte. Sie war
erleichtert, als Katis Vater sich nach dem vierten Rufton meldete.
»Hier spricht noch mal Johanna Krass. Ich weiß, dass es schon spät
ist, Herr Lindner, und
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