Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
tat so, als lese er den Rückentext.
«Ich nehme es mit!», sagte er dann.
«Wenn Sie es bezahlen …»
«Es ist ein Beweismittel, junger Mann. Sie können die Rechnung ja Signor Altlanders Nachlassverwalter schicken.» Guerrini grüßte und verließ mit einem winzigen Triumphgefühl den Laden.
Als er mit seinen drei Büchern unterm Arm die steile Gasse zum Kommissariat hinaufging, überlegte Guerrini, warum er niemals ein Buch von Altlander gelesen hatte. Aber vielleicht konnte er sich nur nicht an den Namen erinnern. Er blieb in einem Hauseingang stehen, um den stetigen Strom von Touristen nicht aufzuhalten, die dem Dom zustrebten, und schlug den Gedichtband irgendwo in der Mitte auf.
Und der rote Mantel der Vergeltung
Wird dereinst die Erde fegen.
Wenn sie verdorrt ist
unter der menschlichen Gier.
Der rote Mantel der Vergeltung. An diesen Satz erinnerte sich Guerrini dunkel. Hatte nicht sein Schulfreund Montelli diese Verse damals zitiert und bei Kundgebungen sogar übers Megafon hinausgebrüllt? Es konnte natürlich auch ein Einfall Montellis gewesen sein, oder er hatte diesen Satz einfach von Altlander geklaut.
Wasteland . Der Name des einsamen Hauses passte zur verdorrten Erde in diesen Versen, machte Guerrini neugierig. Plötzlich bedauerte er, dass Altlander tot war, hätte ihn gern kennengelernt. Doch aus seiner Erfahrung als Kommissar wusste er, dass man in diesem Beruf Toten mitunter näher kam als Lebenden. Elsa Michelangeli und Enzo Leone waren die ersten Mittler auf diesem Weg.
«Übrigens, dieser Montelli, nach dem Sie mich gefragt hatten – der aus Borgo Ecclesia –, er wurde in Siena geboren, Commissario, 1957. Er ist hier zur Schule gegangen, hat die Matura gemacht …»
«1975!»
«Woher wissen Sie das, Commissario?», fragte Tommasini verwirrt.
«Weil ich rechnen kann.»
Tommasini runzelte die Stirn.
«Wann haben Sie die Matura gemacht, Commissario?»
«1975.»
«Dann müssen Sie ihn kennen, diesen Montelli.»
«Sagen wir besser – ich habe ihn gekannt.»
«Ah, Sie können doch nicht so schnell rechnen! Außerdem hätte er auch 1976 oder 1977 die Matura machen können, nicht wahr!»
Guerrini warf seinem Kollegen einen etwas verzweifelten Blick zu. Manchmal bereitete ihm die schwerfällige Rechthaberei Tommasinis regelrechte Schmerzen. Aber heute konnte er sich an ihm rächen.
«Ich möchte, dass du dich mit d’Annunzio zusammentust und alles über Enzo Leone und Elsa Michelangeli herausfindest. Außerdem jede Information über Altlander, soweit es in den Polizeiarchiven etwas gibt. Ich fahre zum Tatort und weiß noch nicht, wann ich zurückkomme.»
«Aber Sie sollten nicht allein fahren, Commissario. Sie wissen ganz genau …»
«Ich bin nicht allein da draußen!», unterbrach Guerrini den Sergente. «Capponi und die anderen von der Spurensicherung sind schon vor Ort.»
«Ja dann …» Tommasini zuckte die Achseln. Sein Gesicht war ausdruckslos, und mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand tastete er nach den schütteren Haaren über seiner hohen Stirn, wie er es immer machte, wenn er ein wenig ärgerlich war.
«Ja, und bring Dottor Salvia und den Professore auf Trab. Sie sollen die Autopsie möglichst schnell zum Abschluss bringen.»
«Noch was, Commissario?»
«Das ist im Augenblick alles.»
Tommasini rührte sich nicht von der Stelle, obwohl Guerrini ihm den Rücken zuwandte und seinen PC einschaltete.
«Dieser Montelli», sagte er nach einer Weile.
«Ja?» Guerrini suchte die E-Mail-Adresse des Bundeskriminalamts.
«Gibt es einen bestimmten Grund, warum ich was über ihn herausfinden sollte?»
«In seinem Park laufen lauter Chinesen herum!»
«Permesso?»
«Chinesen. Sie arbeiten in seinem Park und verschwinden, wenn man sie zu lange ansieht!»
«Aha. Ich habe bei den Kollegen in Prato angerufen. Die haben mir gesagt, dass Montelli in seiner Textilfabrik auch lauter Chinesen beschäftigt. Sie hätten ihn schon seit Jahren im Auge.»
«Im Auge!» Guerrini drehte sich schnell um. «Dass ich nicht lache. Die haben beide Augen fest zu! Alle wissen, dass es in Prato von Illegalen wimmelt, aber niemand unternimmt etwas, weil sonst unsere wunderbare italienische Modebranche zusammenbricht! Und jetzt kriegen wir sie auch noch als Gärtner, die Chinesen! Aber danke, Tommasini, dass du in Prato angerufen hast.»
«Haben Sie was gegen Chinesen, Commissario?»
«Nein, nur gegen schlechte Chinarestaurants.»
«Aber …»
«Ich habe nichts gegen Chinesen.
Weitere Kostenlose Bücher