Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Brust. Er war ganz ohne Zweifel ein schöner junger Mann.
«Ich warte schon seit Stunden auf Sie, Commissario! Warum kommen Sie so spät? Ihre Kollegen haben nichts rausgelassen, nur dass ich im Haus bleiben muss. Ich bin beinahe verrückt geworden! Was ist denn passiert?»
Nachdenklich betrachtete Guerrini den jungen Mann und fragte sich, ob er das Schauspiel gut oder schlecht fand, entschied sich für mittelmäßig und fragte freundlich, ob er eintreten dürfe. Leone machte eine vage Handbewegung, und Guerrini betrat einen großzügigen Wohnraum, ganz in Gelb, Orange und Weiß gehalten, der in eine hochmoderne Küche überging.
«Hübsch haben Sie es hier. Könnte ich einen caffè haben?»
«Ich möchte wissen, was los ist!» Leones Stimme wurde lauter. «Gestern Abend hatte ich einen Filmriss. Ich war betrunken. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich Sie irgendwie gesehen habe. Aber sonst an nichts!»
«Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie inzwischen nicht mit Elsa Michelangeli telefoniert haben!»
«Ich habe es versucht, aber ich kann sie nicht erreichen!»
«Tatsächlich nicht?»
«Nein, tatsächlich nicht.»
«Dann sollten wir uns in aller Ruhe unterhalten – bei einem Espresso zum Beispiel.»
Enzo Leone warf Guerrini einen irritierten Blick zu, drehte sich dann wortlos um und ging in die Küche hinüber, hantierte fahrig an der Kaffeemaschine herum. Guerrini folgte ihm, lehnte sich an die Wand und sah ihm zu.
«Ist er wirklich tot, oder handelt es sich um eine seiner Inszenierungen?» Leone füllte Kaffeepulver in den Filter, verschüttete einen Teil.
«Inszenierungen?»
«Er liebt dramatische Auftritte, um andere in Schrecken zu versetzen.»
«Er ist tot.»
«Und warum? Schlaganfall, Herzinfarkt? Sagen Sie schon!» Leone fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte Haar, wandte sich halb zu Guerrini um.
«Hören Sie mal zu, junger Mann. Sie wissen genau, dass er ermordet wurde, sonst würden hier nicht Leute in weißen Schutzanzügen herumsuchen, und es würde auch keine Leiter am Haus lehnen, und die Fensterscheibe vor seinem Arbeitszimmer wäre nicht eingedrückt worden, und niemand hätte sämtliche Siegel aufgebrochen.»
«Aber wer sollte ihn ermorden? Er war Schriftsteller, er lebte hier ganz unauffällig. Es gibt keinen Grund, Commissario!» Etwas wie Schluchzen drang aus seiner Kehle, ein gepresster, heiserer Laut.
«Wo kamen Sie denn letzte Nacht her, oder sollte ich besser fragen – wo haben Sie sich so betrunken?»
«Ich war in Florenz, bei Freunden – seit Samstagabend schon. Das können Sie nachprüfen.»
«Wann sind Sie hier losgefahren – nach Florenz?»
«Ich weiß nicht genau – am Samstagabend so gegen halb zehn, vielleicht ein bisschen später. Es wurde gerade dunkel. Giorgio wollte arbeiten, er arbeitet meistens die ganze Nacht. Soll ich Ihnen mal was sagen, Commissario? Merken Sie, was hier abläuft? Was wäre, wenn ich seine Ehefrau wäre? Dann würden Sie mir Beileid wünschen und Respekt vor mir haben. Ist es nicht so? Aber weil wir schwul sind, gilt das alles nicht. Sie können mich behandeln wie einen Idioten, der sowieso verdächtig ist!» Wieder schluchzte er auf.
«Sie irren sich, junger Mann. Wenn eine Ehefrau nach Mitternacht volltrunken nach Hause zurückkäme, dann würde ich sie nicht anders behandeln als Sie, und ich würde ihr die gleichen Fragen stellen. Übrigens, der Kaffee ist fertig.»
Enzo Leones Hände zitterten, als er den Espresso in kleine Tassen füllte und eine vor Guerrini auf den edlen Tresen stellte. Olivenholz, schätzte Guerrini und fuhr mit der Hand über die glatte Fläche.
«Es tut mir leid, dass Sie Ihren Partner verloren haben. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass Sie besonders traurig darüber sind.» Guerrini rührte bedächtig einen Löffel Zucker in seinen Espresso.
«Was muss ich tun, um Ihnen meine Trauer zu beweisen? Mein Hemd zerreißen? Mich auf den Boden werfen? Was wollen Sie eigentlich von mir?»
«Ich wüsste gern, wer die Leiter vor dem Haus aufgestellt hat, wer das Fenster zum Arbeitszimmer eingeschlagen hat und wer die Siegel aufgebrochen hat, um ins Haus zu kommen.»
«Was?» Leone starrte den Commissario mit offenem Mund an. «Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Welche Leiter?»
«Sie haben natürlich nichts gehört in den frühen Morgenstunden? Keinen Wagen, kein Klirren, gar nichts?»
«Ich habe geschlafen, Commissario. Ich war betrunken. Sie wissen selbst, dass ich
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