Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Ich hab was dagegen, dass sie ausgebeutet werden, dass sie vierundzwanzig Stunden arbeiten, was kein vernünftiger Italiener tun würde, und dass sie nichts dafür bekommen und dass diese Schweine von Unternehmern immer mehr von ihnen ins Land holen!»
«Ja», murmelte Tommasini, «da kann ich Ihnen folgen, Commissario.»
«Wie schön.»
«Liegt etwas gegen Montelli vor?» Tommasini rührte sich noch immer nicht von der Stelle.
«Noch nicht. Aber es könnte durchaus sein, dass bald etwas vorliegt. Und jetzt geh bitte, ich muss einen wichtigen Brief schreiben.»
Tommasini ging. Vermutlich beleidigt. Erleichtert lehnte Guerrini sich in seinen Sessel zurück und atmete tief ein. Wenn Tommasini sich an etwas festbiss, war er wie Kaugummi am Schuh. Guerrini bemühte sich, nicht an seinen Schulkameraden Montelli zu denken. Er wollte nicht wütend werden, sondern in aller Ruhe den Brief schreiben, der Laura nach Siena bringen sollte.
Sehr geehrte Kollegen , begann er und erfand im Laufe seines Briefes viele zu verhörende Deutsche, die rund um das Anwesen Altlanders lebten und alle irgendwie mit ihm verbunden waren. Manche von ihnen sogar bekannte Persönlichkeiten, ehemalige deutsche Politiker, Künstler usw. Ein Fall also, der Fingerspitzengefühl erfordere, und deshalb sei Ermittlungshilfe dringend geboten, und zwar in Person der Kriminalhauptkommissarin Laura Gottberg, mit der er bereits in einem anderen schwierigen Fall sehr erfolgreich zusammengearbeitet habe.
Als er nach einer halben Stunde sein Werk per Mausklick ins Internet beförderte, war er ziemlich zufrieden mit sich, doch ehe er nach Wasteland aufbrach, lief er schnell die wenigen Meter zum Dom hinauf, drängte sich an der Warteschlange vorbei, zeigte dem verblüfften Kassierer am Eingang seinen Polizeiausweis und entzündete an einem Seitenaltar zehn Kerzen.
«Das Siegel an der Haustür war aufgebrochen», sagte Capponi und zog die Schultern hoch. «Trotzdem ist jemand durchs Fenster gekommen. Die Leiter steht noch da.» Der große Mann hielt den Kopf leicht gesenkt und steckte jetzt beide Hände in die Hosentaschen.
«Warum habt ihr letzte Nacht eure Arbeit nicht fertig gemacht?» Guerrini bemühte sich, seine Stimme nicht zu erheben. Capponis Schultern reichten nun fast bis zu seinen Ohren.
«Ich weiß es nicht, Commissario. Es war offensichtlich eine falsche Entscheidung meinerseits. Die Jungs waren müde, es war spät. Soll ich aus dem Fenster springen?»
«Bitte nicht. Ich wusste gar nicht, dass du so eine dramatische Ader hast, Capponi.»
Capponi verzog das Gesicht.
«Sehen Sie, Commissario: Dieser Einbruch könnte sogar eine große Hilfe sein. Bisher gab es Zweifel daran, ob der Tote ermordet wurde. Jetzt können wir eigentlich davon ausgehen.»
Guerrini brummte unwirsch.
«Da müssen Sie mir doch zustimmen, Commissario.»
«Es gibt immer viele verschiedene Möglichkeiten, Capponi. Du bist erfahren genug, um dir ein paar auszudenken.»
Capponi seufzte und zuckte die Achseln.
«Wollen Sie sich die Sache nicht ansehen?», fragte er.
«Nein. Ich will diesen Enzo Leone sprechen. Aber von euch erwarte ich, dass ihr jeden Millimeter des Arbeitszimmers untersucht.»
«Sì, commissario!» Capponi nahm die Hände aus den Hosentaschen, und seine Schultern sanken in ihre normale Lage zurück. Der Commissario aber wandte sich um und schlenderte um das große Haus, berührte mit einer Hand die sonnenwarmen Travertinsteine, aus denen es gebaut war, sah einer kleinen Eidechse zu, die mit pumpender Kehle an der Wand hing, und ließ seinen Blick dann über die weite Landschaft schweifen. Jetzt im Juni hatte dieses Land nichts von einem Waste Land , die Hügel schimmerten in allen Schattierungen von Grün, Gelb und Rot, blau erhoben sich in der Ferne die Vulkankegel des Monte Amiata. Langsam ging Guerrini weiter, vorbei an Rabatten von Schwertlilien, englischen Rosen, Lavendel und Rosmarin. Das Gästehaus war wohl einst die Scheune dieses Bauernhauses gewesen, lag nur ein paar Meter vom Hauptgebäude entfernt, durch eine Weinlaube mit ihm verbunden.
Als Guerrini an die Tür klopfte – sie leuchtete in einem satten Tomatenrot –, öffnete Enzo Leone so schnell, als habe er nur auf dieses Klopfen gewartet. Blass, unrasiert stand er da, hatte dunkle Ringe unter den Augen, und sein Haar war zerzaust. Über einer schwarzen Jeans trug er offen ein dunkelgrünes Baumwollhemd, und Guerrini registrierte ein großes goldenes Kreuz auf Leones unbehaarter
Weitere Kostenlose Bücher