Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
betrunken war. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wie ich in mein Bett gekommen bin.»
«Warum waren Sie so betrunken?»
Enzo Leone stand auf der anderen Seite des Tresens und biss auf seine Unterlippe.
«Ich hatte Angst!», sagte er endlich leise. «Dieser Anruf von Elsa … ich hatte Angst, dass Giorgio und Elsa mich reinlegen wollten. Giorgio hatte in letzter Zeit so eine Art Verfolgungswahn entwickelt. Dauernd warf er mir vor, dass ich ihn mit dem Essen krank machen wollte. Es war keine gute Zeit.»
«Haben Sie ihn mit dem Essen krank gemacht?»
Der junge Mann lachte plötzlich auf, ein Ansatz von verführerischem Charme blitzte über sein Gesicht.
«Nein, nicht wirklich. Ich habe manchmal grünen Paprika in den Salat gemischt, um ihn zu ärgern. Er hat niemals einen Bissen davon gegessen, sondern ihn Stück für Stück herausgefischt und mir auf den Teller geknallt.»
Guerrini unterdrückte ein Lächeln, erinnerte sich plötzlich an ähnliche Situationen in seiner Ehe. Ehe Carlotta ihn verließ, kochte sie immer häufiger Gerichte, die er nicht mochte. Trippa alla fiorentina zum Beispiel. Er hasste dieses Gericht aus kleingeschnittenen Kutteln! Und sie hatte es nicht mal selbst zubereitet, sondern aus Dosen aufgewärmt. Guerrini erschauerte noch im Nachhinein. Die Unterschiede zwischen gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Paaren schienen selbst in den Formen der Rache nicht besonders groß zu sein.
«Warum haben Sie grünen Paprika in sein Essen gemischt?»
Enzo Leone schob seine Espressotasse hin und her. «Sie wissen nicht, wie er war, Commissario. Giorgio war ein großer Schriftsteller, aber er war auch ein sehr schwieriger Mensch. Er konnte andere sehr verletzen, nahm keine Rücksicht.»
«Auch nicht auf Sie?»
«Nein, auch nicht auf mich. Aber wenn Sie meinen, dass ich ihn deshalb umgebracht haben könnte – nein, Commissario. Ich war schon zu lange an seine Gemeinheiten gewöhnt. Ich habe ihn nicht umgebracht. Das Leben mit Giorgio hatte mehr gute als schlechte Seiten.»
«Warum leben Sie dann in diesem Gästehaus und nicht im Haupthaus?»
«Das war ja eine der guten Seiten. Wir haben uns Freiraum gelassen, Commissario.»
Guerrini starrte den jungen Mann interessiert an.
«Freiraum wofür?»
Leone verdrehte die Augen wie ein Teenager.
«Für alles Mögliche.»
«Und das wäre?»
«Verschiedene Fernsehprogramme zum Beispiel. Ich stehe früher auf als Giorgio. Ich telefoniere viel …»
«Aha!» Guerrini ließ ihn nicht aus den Augen.
Der junge Mann hatte inzwischen an Selbstsicherheit gewonnen, zelebrierte dezent seine Körperlichkeit vor Guerrini.
«Was könnte so interessant am Arbeitszimmer von Signor Altlander sein, dass jemand sogar Polizeisiegel aufbricht?»
«Er hat eine Menge Notizen über eine Menge Leute gesammelt. Aber ich weiß es nicht. Ich hatte keinen Zugang zu seinem Laptop, und ich kann auch kein Deutsch. Ich habe meinen eigenen PC.»
«Da war aber kein Laptop!»
«Was? Auf seinem Schreibtisch stand immer ein Laptop. Er arbeitete nur so!»
Guerrini trank den bittersüßen Espresso aus.
«Dann hat der Mörder ihn vermutlich mitgenommen. Ich möchte, dass Sie mir eine Liste der Freunde und Bekannten Altlanders aufstellen und sich weiterhin zur Verfügung halten. Und geben Sie mir die Namen und Adressen ihrer Freunde in Florenz, damit ich Ihre Aussage nachprüfen kann. Heute Nachmittag möchte ich Sie in der Questura in Siena sehen. Mit der Liste.»
Er nickte dem jungen Mann zu und ging. Als er die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, legte Enzo Leone kurz den Kopf in seinen Arm auf dem Tresen, trank dann gierig ein Glas kaltes Wasser, betrachtete das leere Glas und warf es an die Wand. Draußen hielt Guerrini einen Augenblick inne, horchte auf das Splittern, nickte und ging zu seinem Wagen.
Schneller als erwartet fand Kommissar Peter Baumann heraus, wo der alte Mann den Großen Krieg zugebracht hatte: nach Auskunft des Einwohnermeldeamts in den Wohnblöcken einer Baugenossenschaft im Stadtteil Schwabing. Dort gab es auch eine Eintragung über seine Tätigkeit als Luftschutzwart und Hausmeister.
«Gibt’s die noch, diese Baugenossenschaft?», fragte Laura und nahm die Beine von der Balkonbrüstung.
«Allerdings. Die haben ein Büro, einen Vorstand, eine Sekretärin und einen Geschäftsführer.»
«Wo ist das Büro?»
«Du bist ein richtiger Workaholic, Laura. Es ist dein freier Tag! Hast du schon gemerkt, dass die Sonne
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