Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
großen Wohnanlage übernommen.
Hausmeister können viel wissen, dachte Laura. Aber wem sollte dieser alte Mann so gefährlich werden, dass er aus dem Weg geräumt wurde? Die Nachbarn hatten ausgesagt, dass er ganz selten die Wohnung verlassen und eigentlich mit niemandem gesprochen habe.
Warum denke ich eigentlich dauernd über ihn nach? Die Antwort fiel ihr leicht. Der Gesichtsausdruck des Toten war der Grund, dieses erstarrte Erschrecken, beinahe Entsetzen, vielleicht das Entsetzen über die Gewissheit des Todes, vielleicht auch Schmerz – aber für Laura hatte es eher so gewirkt, als habe er etwas Furchtbares gesehen, als habe er versucht wegzulaufen, und das Gift hatte ihn niedergestreckt, während er noch immer versuchte, sich wegzuducken. Sie schauderte, ließ heißes Wasser nachlaufen, betrachtete interessiert die Gänsehaut auf ihren Brüsten.
Als das Telefon klingelte und ihre Gedanken unterbrach, war sie dankbar. Nach einem kurzen Blick auf das Display lächelte sie und meldete sich mit «pronto».
«Ach, ist das langweilig!», brummte Guerrini. «Mit dieser verdammten modernen Technik gibt es immer weniger Überraschungen! Was machst du gerade, amore ?»
«Ich liege in der Badewanne.»
«Wunderbar. Ich komme sofort! Warum liegst du in der Badewanne? An einem Montagvormittag?»
«Es ist mein freier Tag, Angelo.»
«Nicht mehr lange, Commissaria. Ich brauche deine Hilfe. Kennst du einen Giorgio Altlander? Deutscher Schriftsteller.»
«Ja, natürlich. Er ist ziemlich bekannt. War sogar mal für den Nobelpreis im Gespräch. Aber das ist schon eine Weile her. Was hast du mit Altlander zu tun?»
«Er wurde ermordet. Jedenfalls sieht es so aus.»
«In Siena?»
«In der Nähe. Er hatte hier ein Haus.»
«Seltsam. Er war irgendwie schon lange wie weggetaucht. Passt zu ihm, dass er sich so verabschiedet.»
«Wieso?»
«Er hatte etwas Todessehnsüchtiges. War destruktiv, radikal kritisch – erschreckend. Ich habe ihn vor zwanzig Jahren mit klopfendem Herzen gelesen und wollte entweder sofort sterben oder die Welt verändern.»
«Solche Leute kenne ich auch. Die meisten haben leider nicht die Welt verändert, sondern sich selbst – und das nicht immer zum Besten. Dein Altlander lebte zum Beispiel nicht schlecht auf seinem toskanischen Landsitz.»
«Hast du mit dieser Bemerkung eigentlich auch mich gemeint?» Laura setzte sich langsam auf.
«Uns alle – aber darüber können wir uns ein anderes Mal unterhalten.»
«Was ist denn?»
«Gar nichts. Ich versuche dir nur zu erklären, dass ich dringend Ermittlungshilfe brauche. Ich werde sie noch heute beim deutschen Bundeskriminalamt anfordern. Wo lebte denn dieser Altlander, wenn er nicht gerade in der Toskana Lachgas schnüffelte?»
«Was sagst du? Wiederhole mal die letzten beiden Worte!»
«Lachgas schnüffelte.»
«Machte er das?»
«Ja, das machte er, und vermutlich ist er daran erstickt. Also, wo kommt er her?»
«Er hatte eine Wohnung in München, irgendwo in der Innenstadt, wenn mich nicht alles täuscht.»
«Ich werde mein ganzes Gehalt für Kerzen ausgeben müssen!»
«Was soll das jetzt wieder heißen?»
«Ich muss der Madonna danken und der heiligen Katharina von Siena. Altlander hätte auch aus Hamburg stammen können. Wann kommst du, Laura?»
«Du bist verrückt. Das geht nicht so schnell, und das weißt du genau. Außerdem ist überhaupt nicht sicher, dass die mich schicken.»
«Ich werde jemanden mit detaillierten Kenntnissen von Altlanders Leben und Werk anfordern, der außerdem hervorragend Italienisch spricht und Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der italienischen Polizei hat. Glaubst du im Ernst, dass es bei der deutschen Polizei viele Kollegen mit diesem Profil gibt?»
«Aber ich habe gar keine detaillierten Kenntnisse von Altlanders Leben, und seine Bücher habe ich vor zwanzig Jahren gelesen.»
«Er war schwul, das ist schon ein wichtiges Detail!»
«Was ist denn mit dir los? Du klingst total unernst.»
«Ich freu mich einfach. Du kannst mich für herzlos und verrückt halten, aber ich freue mich über diesen Fall. Und ich freu mich auf dich! Der Mohn blüht und der rote Klee! Was blüht bei dir?»
«Die Geranien auf meinem Balkon.»
«Dann komm, aber schnell. Ti amo, Laura .»
Er hatte aufgelegt.
Ti amo . Während Laura sich abtrocknete und einölte, dachte sie über diese beiden kleinen Worte nach. Im Italienischen hatten diese Liebesworte eine andere Bedeutung als im Deutschen. Dich liebe ich, hieß es
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