Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
bei den Italienern. Ich liebe dich, bei den Deutschen. Ziemlich klar, wer dabei der Wichtigere ist, dachte Laura und musste über ihren plötzlichen Hang zu Sprachforschungen lächeln.
Und es war verdammt schade, dass Guerrini so weit weg war!
Seufzend zog sie sich an, studierte noch einmal den Aktionsplan in der Küche, brühte sich dann endlich eine große Tasse grünen Tee auf, setzte sich auf dem winzigen Balkon in die Sonne und legte die Beine auf die Brüstung. Dann griff sie nach ihrem Telefon, das bereits neben der Teetasse lag, und rief im Dezernat an.
Claudia, die Sekretärin, meldete sich.
«Laura hier, ist Baumann da?»
«Guten Morgen. Hast du nicht deinen freien Tag?»
«Hab ich. Kann ich trotzdem Baumann sprechen?»
«Warte. Ich glaube, er will gerade in die Kantine, aber ich erwische ihn noch.»
Irgendwelche seltsamen Geräusche drangen aus dem Telefon, Wortfetzen, Rufe, Gepolter. Dann meldete sich Kommissar Baumann.
«Ja?»
«Klemm dich bitte mal hinters Einwohnermeldeamt und finde heraus, wo genau dieser Gustav Dobler während des Krieges gewohnt hat.»
«Mein Gott, lässt dich diese alte Leiche nicht mal an deinem freien Tag in Ruhe?»
«Doch. Deshalb schicke ich ja dich zum Einwohnermeldeamt. Und wage es ja nicht, Claudia damit zu beauftragen!»
«Ist das eine Drohung?»
«Ja!», antwortete Laura und legte auf, trank einen Schluck Tee, sah einer Taube zu, die in der Dachrinne schräg gegenüber herumtrippelte und ab und zu mit dem Schnabel eine Ladung Dreck hinauswarf. In einer der anderen Wohnungen, die auf den Hinterhof hinausgingen, spielte jemand Klavier, schlug die Tasten ganz vorsichtig an, als fürchte er, zu stören oder einen falschen Ton hervorzubringen. Die Taube begann leise zu gurren, es passte zum schüchternen Klavierspiel. Manchmal ist das Leben gar nicht so schlecht, dachte Laura und schloss die Augen.
Ehe Guerrini wieder zum Landsitz mit dem seltsamen Namen Wasteland aufbrach, ging er in die größte Buchhandlung Sienas und fragte nach einem Werk von Giorgio Altlander. Zu seinem Erstaunen gab es eine ganze Reihe seiner Bücher in italienischer Sprache.
«Haben Sie was von ihm gelesen?», fragte Guerrini den jungen Buchhändler, der mit seinem Dreitagebart, halblangem Haar und runden Brillengläsern in hauchdünnem Goldgestell an einen Revolutionär erinnerte und entfernte Ähnlichkeit mit Che Guevara hatte.
«Das hier!», sagte der junge Mann. «Es ist schwierig, aber ziemlich gut. Vorausgesetzt natürlich, Sie sind am katastrophalen inneren Zustand unserer kapitalistischen Gesellschaft interessiert.» Er musterte Guerrini mit der unbefangenen Überheblichkeit junger Leute, die davon ausgehen, dass die Älteren ohnehin für die Menschheit verloren sind.
Tatsächlich ein kleiner Revolutionär, dachte Guerrini, sich seiner eigenen Arroganz vor beinahe dreißig Jahren erinnernd.
«Das nehme ich!», sagte er laut. «Hat er nur gesellschaftskritische Bücher geschrieben?»
«Fast ausschließlich. In Romanform oder als Essays. Aber ein paar Gedichtbände hat er auch veröffentlicht.»
«Davon nehme ich auch einen.»
«Welchen?»
«Egal. Was Sie mir empfehlen können.»
Der junge Buchhändler sah ihn nicht an, aber sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich die Missbilligung solcher Ignoranz. Nun verspürte Guerrini doch das Bedürfnis, den anderen etwas in die Schranken zu weisen.
«Er ist übrigens tot», sagte er deshalb beiläufig.
«Wer?»
«Altlander.»
«Wieso?»
«Das ist noch nicht ganz klar.»
Der junge Buchhändler war blass geworden.
«Aber …», stammelte er. «Vor vier Tagen hat er noch Bücher bei mir bestellt.»
«Die wird er nicht mehr abholen.» Bedauernd zuckte Guerrini die Achseln. «Übrigens, was für Titel waren das?»
«Was geht Sie das an!» Schnell hatte der junge Mann seine Arroganz wiedergefunden.
«Eine Menge!» Guerrini zückte seinen Ausweis.
Der Buchhändler warf einen kurzen verächtlichen Blick darauf, ging dann zu seinem Computer hinter dem Tresen und drückte ein paar Tasten.
«Die englische Ausgabe einer Biographie über Lord Byron und etwas über organisierte Kriminalität», murmelte er, ohne den Commissario anzusehen.
«Sind die Bücher schon da?»
Der junge Mann drehte sich zu einem Regal um und zog einen dicken Band heraus. «Das über organisierte Kriminalität.»
«Zeigen Sie mal.»
Zögernd reichte der Buchhändler den Band über den Tresen. Er war noch in Folie eingeschweißt. Guerrini drehte ihn um und
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