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Wolfstraeume Roman

Wolfstraeume Roman

Titel: Wolfstraeume Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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bekommen. Danach kam die Spritze zum Einsatz, mit der ich etwas Rückenmark extrahierte. »Es tut mir so leid«, sagte ich zu dem Hund, der ein markerschütterndes Jaulen von sich gab.
    »Wir haben es fast geschafft, Brownie«, meinte auch Lilliana mit einer sanft hypnotischen Stimme. »Perfekt gemacht, Abra.«
    Ich zog die Spritze wieder heraus. Der Hund schnappte instinktiv nach mir und fuhr sich dann rasch mit der Zunge über das Maul, als ob er sich für sein Verhalten entschuldigen wollte.
    »Ich weiß, mein Guter. Du wolltest mir nicht wehtun. Das war nur ein Reflex.« Ich streichelte ihn und legte auf der Instrumentenablage einige Objektträger aus.
    Lilliana schüttelte bewundernd den Kopf. »Wow, rein und gleich wieder raus. Er hatte nicht einmal Zeit, sich richtig zu beklagen.«
    »Schön wär’s.«
    Sie sah mir zu, wie ich auf jeden der Objektträger einen Tropfen Blut gab. Als ich fertig war, half sie mir, Brownie wieder auf den Boden zu hieven. »Weißt du«, sagte sie, »Knox hat großen Respekt vor dir.«
    »Soll das ein Witz sein? Er hat mir doch gerade erklärt, dass er mich nur aufgenommen hat, weil mein Mann über Werwölfe schreibt. Entschuldige«, verbesserte ich mich. »Ich meine natürlich über Unwölfe.«
    Lächelnd berührte Lilliana meinen Arm. »Ich weiß, was
er gesagt hat, aber sein Gesichtsausdruck hat eine ganz andere Geschichte erzählt.«
    »Mad Mal meinte, du hättest dich mit diesem Facial System beschäftigt. Was ist das eigentlich?«
    »Das sogenannte Facial Action Coding System. Es handelt sich im Grunde um eine Auflistung von Mikrogesichtsausdrücken, die jenseits von kulturellen Unterschieden liegen und unbewusst unsere wahren Gefühle offenbaren. Wenn Knox zum Beispiel über Sam spricht, kann man seine Verachtung ihm gegenüber gut erkennen. Als er Ofers neurowissenschaftlichen Hintergrund erwähnte, blieb er neutral. Und als er mit dir gesprochen hat, lächelte er für den Bruchteil einer Sekunde.«
    »Hm«, murmelte ich, als wir wieder vor der Tür zu Station B standen. »Und was hat sein Mienenspiel über dich verraten, wenn ich fragen darf?«
    Lillianas Augen funkelten amüsiert. »Vor mir scheint er etwas Angst zu haben... Übrigens – ehe ich es vergesse – heute Vormittag war ein Mann mit einer jungen Eule da.«
    »Das darf doch nicht wahr sein!«« Ich wollte ihr gerade von meinem Erlebnis in der U-Bahn berichten, als wir die Tür zur Station öffneten und feststellten, dass die Aufregungen des Tages noch nicht vorüber waren.
    Pia war aus ihrem Käfig verschwunden.

4
    Alle machten sich auf die Suche nach unserem verschwundenen Patienten. Ich ging auf die Toilette.
    Meine Periode hatte, nachdem ich mit Hunter geschlafen hatte, tatsächlich eingesetzt. Sie war noch recht schwach, aber ich wusste, dass ich immer wieder nachsehen musste, wie sich die Lage entwickelte. Vermutlich durchläuft jeder Human- oder Tiermediziner irgendwann einmal eine hypochondrische Phase. Bei mir hielt sie sich bisher in Grenzen. Ich litt im Grunde nur unter drei Ängsten: mich mit Tollwut anzustecken, fleischfressende Bakterien in eine offene Wunde zu bekommen und einen toxischen Schock zu erleiden, weil ich vierundzwanzig Stunden lang mein Tampon nicht gewechselt hatte.
    Das mag jetzt vielleicht ekelhaft klingen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass man fast alles vergisst, wenn man achtundvierzig Stunden auf den Beinen ist. Deshalb benutzte ich auch immer Binden anstatt Tampons, selbst wenn das etwas umständlicher sein mochte.
    Ich öffnete also die Tür zur Damentoilette und ging zur hintersten Kabine, die für Behinderte eingerichtet – und damit die größte war.
    Zu meiner Verblüffung entdeckte ich dort Pia, die sich
neben der Kloschüssel in die Ecke presste, ihre hellbraunen Ohren flach an den Kopf gelegt. Vor ihr kniete der Eulenmann aus der U-Bahn.
    Vor Überraschung stieß ich einen leisen Schrei aus. »Das hier ist die Damentoilette!«
    Pia knurrte.
    »Ruhig, ganz ruhig!« Der Mann sah die Hündin an und warf mir dann einen reumütigen Blick zu. »Eine ziemliche Memme, die Gute«, meinte er lächelnd.
    Als ich nicht antwortete, stand er auf. »Ich gebe es ja zu«, sagte er. »Es sieht nicht gut aus, was ich hier mache. Aber ich kann Ihnen alles erklären.« Er strich sich das bereits grau werdende, noch aber größtenteils rotbraune Haar aus der Stirn, dessen Schnitt bei näherer Betrachtung an einem Mann mit gepflegter Kleidung wahrscheinlich schick ausgesehen hätte.

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