Wolfstraeume Roman
der U-Bahn. Sie haben mir einen dieser >Wage ja nicht, mich anzusprechen<-Blicke zugeworfen, um mir dann die kalte Schulter zu zeigen. Also habe ich Sie nicht gewarnt.«
Ich dachte nach. »Ich kann andere Menschen leider nicht gut einschätzen«, gab ich zerknirscht zu. »Wenn Sie ein Hund gewesen wären, hätte ich vermutlich sofort gewusst, was Sie von mir wollen.«
Reds Augen funkelten belustigt. »Klug bei Tieren und dumm bei Menschen. Genau das hat mein Großvater immer über mich gesagt.«
»Und meine Mutter über mich.«
»Versrehe.«
»Versrehe.«
Wir standen noch einen Moment lang da, bis Red meine Hand hob, sie an seinen Mund führte und meine Fingerknöchel küsste. Dann eilte er in den Gang hinaus. Pia folgte ihm auf dem Fuß.
Ich rührte mich eine Weile lang nicht von der Stelle. Die Reaktion meines Körpers auf diese Berührung verblüffte mich. Das war mehr als ein kleiner Flirt gewesen. Und noch dazu mit einem anderen Mann als Hunter!
Ich brauchte ein paar Sekunden, bis mir klarwurde, dass die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen nicht unbedingt ein Zeichen meiner Erregung war. Hastig stürzte ich in die Toilettenkabine, um nachzusehen, ob ich eine Binde brauchte. In diesem Augenblick hörte ich, wie jemand eintrat und in einer anderen Kabine verschwand.
Als ich herauskam und zu den Waschbecken ging, um mir die Hände zu waschen, steckte sich Lilliana gerade ihre Seidenbluse in ihre Hose. »Hi, Abra. Und? Hast du Pia gefunden?«
Mein Mund fühlte sich trocken an. »Nein.« »Mist. Na ja, hoffentlich ist sie wenigstens von ihrer Besitzerin abgeholt worden und nicht von einem Tierkontrollinspektor.« Sie betrachtete mich im Spiegel. »He, alles in Ordnung?«
»Ja, alles in Ordnung«, erwiderte ich, auch wenn ich nicht so recht wusste, warum ich meine Freundin anlog. »Ich habe nur meine Tage bekommen.«
5
Ich habe stets zu jenen Menschen gehört, die immer genau wissen möchten, warum etwas geschieht oder weshalb sich jemand auf eine bestimmte Weise verhält. Man hätte eigentlich annehmen können, dass auch Hunter als Journalist dazu tendierte, das Leben zu analysieren. Aber er hinterfragte die Dinge nie, sondern erzählte nur seine Geschichten. Die Zweideutigkeit seiner Stories war es wohl auch, die ihn bei seinen Lesern so erfolgreich machte. Sie konnten ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen und bekamen nicht ständig vorgekaut, wie anmaßend sich der Mensch der Natur gegenüber verhielt – eine Thematik, die sonst in fast jedem der Artikel des Outside zu finden war. Hunter hingegen gab seinen Geschichten immer ein kunstvolles, offenes Ende. So war das letzte Bild zum Beispiel die Schilderung von Blut auf der Windschutzscheibe, während ein verletzter Hirsch davonhinkte – oder die komplexe Stammestätowierung auf dem Gesicht einer jungen Maori-Prostituierten.
Es wäre demnach völlig sinnlos gewesen, von Hunter wissen zu wollen, warum sich unser Sex auf einmal so grundlegend verändert hatte. Nach seiner Rückkehr liebten wir uns mehrere Wochen lang täglich, und dieser unerwartete
zweite Frühling ließ mich alles andere rasch vergessen. Ich dachte nicht mehr an die seltsame Begegnung mit dem rothaarigen Eulenmann, sondern ging wie ferngesteuert täglich zur Arbeit, glücklich vor mich hinlächelnd. Ich lebte derart in meiner eigenen Welt, dass mir erst auffiel, wie blass und ausgehöhlt Malachy Knox aussah, als mich Lilliana darauf hinwies. Unwölfe und Hunters Reise nach Rumänien wurden von niemandem mehr erwähnt. Dr. Knox schien wie ich die Tage schlafwandelnd zu verbringen, so dass Ofer schon bald ganz offen über einen Wechsel seiner Hospitanzstelle sprach.
Doch während Dr. Knox einer mysteriösen Krankheit zum Opfer gefallen schien, befand ich mich in einem seltsamen Schwebezustand der Lust. Ich war nun ganz und gar Hunters Sklavenmädchen – im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Ständig sehnte ich mich nach seiner Aufmerksamkeit und Berührung. Er hingegen zeigte sich selbstherrlicher, fantasievoller und leidenschaftlicher, als ich ihn je erlebt hatte.
Ich war Hunter acht Jahre zuvor während meines ersten Jahres auf dem College begegnet. Er gehörte damals bereits zu den höheren Semestern. Wir befanden uns beide in der naturwissenschaftlichen Bibliothek, um dort für die Semesterprüfungen zu büffeln. Es war an einem späten Nachmittag Anfang November, und der Himmel hatte jene Art von düsterem Grau, das mich kalt und einsam werden ließ.
Aus verschiedenen
Weitere Kostenlose Bücher