Wolfstraeume Roman
du ignorierst deine Instinkte.« Jedes Mal, wenn ich hoffte, dass mir meine Mutter einen guten Ratschlag geben würde, begann sie mit ihrem Gerede über übersinnliche Kräfte und Fähigkeiten. Ihrer Meinung nach lag darin
mein eigentliches Problem – dass ich meine große Begabung, meine Intuition brachliegen ließ.
»Mom, was Hunter angehr...«
»Denk an ihn, während ich die Karten heraushole.« Ich seufzte. Sie nahm ein Päckchen Karten aus einer Schublade, mischte sie und legte dann mehrere vor mir auf den Küchentisch: Dachs, Eule, Truthahn, Eichhörnchen.
»Was sind das für Karten?«
»Medizinkarten. Aus der indianischen Tradition. Ich habe letzte Woche die Karten für dich gelegt und in deiner Zukunft etwas Magisches gesehen. Aber auch Täuschung und Betrug.«
Ihre Finger bewegten sich rasch, als sie die Karten erneut mischte. Man konnte deutlich erkennen, dass sie fast täglich mit ihnen umging. »Mom, ich habe dich doch gebeten, Tarot nicht mehr ohne meine Erlaubnis zu legen. Das möchte ich nicht.«
Sie achtete nicht auf meinen Protest, sondern breitete auf dem Tisch mehrere Karten in einem Halbkreis aus. Diesmal waren es eine Eule, ein Truthahn, ein Kojote und ein Rabe.
»Oh, wow«, spöttelte ich. »Und welcher Stamm soll das sein? Der Zuni-Klan der Ganzheitsmediziner, die in der Kristallkugel lesen?«
»Mach dich nicht lustig. Die Karten basieren auf den alten Weisheiten der Aborgines. Also spar dir dein verächtliches Getue.«
»Mom, das ist doch nur wieder irgend so ein neuer New-Age-Unsinn.«
»Ruhe. Denk an dein Problem.«
»Nein.«
»Okay, hier ist es schon wieder: Eine Eule in deiner jüngsten
Vergangenheit. Das ist ein Omen, Abra. Magisches nähert sich dir. Und Täuschung... Betrug.«
»Ich will das nicht, Mutter.«
»Einen Moment! Diese Karte ist neu. Ein Kojote, das Zeichen des Betrügers. Das Universum wird dir einen ziemlichen Streich spielen, mein Kind.«
»Ich gehe jetzt.«
»Nein, warte noch einen Augenblick. Hier ist die umgedrehte Wolfskarte. Eine Gegenmedizin. Etwas Negatives. Gewöhnlich steht der Wolf für einen, der führt, der einen an der Hand nimmt. Aber in dieser Position könnte er auch etwas anderes bedeuten...«
Meine Mutter blickte auf und schob die Karten dann hastig zusammen, als ob sie die gerade gelesene Botschaft rückgängig machen wollte. Obwohl ich mich noch immer über sie ärgerte, wurde ich nun doch unruhig.
»Was?«, fragte ich.
»Du musst hinter die Oberfläche der Dinge blicken, Abra. Du musst endlich aufwachen und dir genau ansehen, was zwischen dir und Hunter passiert. Und du musst aufpassen. Pass auf dich auf, mein Schatz.«
»Na, herzlichen Dank! Ein tolles Geburtstagsgeschenk.« Ich klang wie eine weinerliche Jugendliche – ein sicheres Anzeichen dafür, dass ich mich bereits zu lange in der Gegenwart meiner Mutter aufgehalten hatte.
Sie streckte eine Hand aus und hielt mich einen Moment lang am Arm fest. »Liebes«, sagte sie. »Ich habe Angst um dich. Der Wolf ist niemand, den man sich zum Feind machen sollte.«
»Ich dachte, ihr New-Age-Typen liebt Wölfe.«
»Abs, ich bin kein New-Age-Typ. Für so etwas bin ich
zu alt. Mach dich ruhig über mich lustig, aber ich halte deinen Mann für gefährlich. Weißt du noch, als du ihn das erste Mal nach Hause gebracht hast? Damals hat er mit mir geflirtet, was ich dir auch sofort erzählt habe. Schon damals wusste ich, dass er kein guter Mensch ist. Er kennt keine Moral.« Sie warf ihre langen blondierten Haare zurück, als wäre sie noch immer ein aufmüpfiger junger Star in einem zweitklassigen Schinken. Ich konnte förmlich spüren, was jetzt kam – der melodramatische Schlusssatz: »Ich glaube nicht, dass er dich jemals wirklich geliebt hat, Schatz. Jedenfalls nicht als ein gleichberechtigtes Gegenüber.«
Das reichte. Am liebsten hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst, um sie endlich zum Schweigen zu bringen. »Du kannst es einfach nicht lassen, was, Mom? Alles muss immer wieder auf Piper LeFever in einer Hauptrolle hinauslaufen. Selbst in meiner Ehe, nicht wahr?«
»Abra...« Sie streckte erneut die Hand nach mir aus, doch ich sprang auf.
»Hör auf! Es reicht! Deine ewigen theatralischen Ausbrüche stehen mir bis hier. Ich gehe lieber wieder zum unmoralischen Hunter zurück, als noch eine Minute länger in dieser giftigen Atmosphäre zu verbringen. Du tust doch immer nur so, als würdest du dich um mich sorgen. Das ist doch alles bloß gelogen. Hoffentlich bist du wenigstens
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