Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
endlich wert sein würden, weiter zu machen?
Der eisgraue Wintertag am Frischen Haff, als ihm sein Pferd unter den Händen verreckte. Wie ein Kind hatte er heulend neben dem toten Tier im Sand gehockt. Aber war schließlich doch weiter gezogen. Schritt um Schritt, Stunde um Stunde – bis zu diesem verfallenen Unterstand. In dem er sechs Tage und Nächte auf einen Tod gewartet hatte, der einfach nicht kommen wollte.
Dann das erste russische Vorauskommando. Die Arme weit ausgebreitet, war er über die Dünen des Haffs hinweg auf sie zu gerannt. Das Gesicht eines der Soldaten, gerade als er die Maschinenpistole auf ihn anlegte. Erst das „ Kaddisch! Kaddisch!“, das er ihnen so laut er konnte entgegen geschrieen hatte, brachte die Männer dazu, ihre Waffen sinken zu lassen.
Die Wochen während der er mit den Russen tiefer und tiefer in ein zerstörtes Land eindrang. Meter um Meter von der heimlichen Hoffnung beflügelt, dabei auf Spuren von Catherina zu stoßen. Dann die Oder. Und nach der Oder Berlin. Ekel, Abscheu und uneingestandenes Mitleid angesichts der Kriegsgefangenen, die in denselben Viehwaggongs in dieselbe Richtung rollten, in die nur Monate zuvor Juden zur Vernichtung verbracht wurden.
Der russische Oberst, der ihn auf einem zerbombten Brandenburger Dorfbahnhof einem Lazarettzug nach Polen zuteilte, gerade in dem Augenblick, als er drauf und dran gewesen war, sich in die britische Zone abzusetzen. Tage später Warschau: nur noch die Legende einer Stadt. Ein anderer Offizier, der ihn links raus treten hieß. Links, da wo zwei ältliche Ordensschwestern einzig mit Hilfe ihres Gottvertrauens ein Meer aus Versehrten, Verwundeten und Verzweifelten zu teilen versuchten.
„ Wie ist Dein Name, Doktor?“ fragten sie.
„ Wajda, Wladislaus“, hatte er ohne darüber nach zu denken geantwortet.
Die erste harte Zeit in Warschau. Bald wieder der Ruf „Juden an die Wand!“ Wieder Tod, wieder Hass. Dennoch war er geblieben.
Arbeit, Arbeit, Arbeit, mit der er sich solange selbst betäubte, bis ihm sein eigener Erfolg jeden Gedanken an Rückkehr in den Westen zunichte gemacht hatte.
Ungarn 56 – neue Träume, neue Hoffnungen. Genauso zunichte gemacht wie alle anderen zuvor. Wieder: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Dann die Betäubung im Glanz der fetten Jahre: die Wagen, das Haus, die Partys und Speichellecker, der modernste Operationssaal der Stadt, in dem er schalten und walten konnte, wie es ihm passte. Aber für den er einen Preis zahlte: keine Reisen hinter den Eisernen Vorhang.
Professor Wladislaus Wajda, der plötzlich, ohne zu wissen wie, ganz oben angelangt war, und eines Tages feststellte, dass auch dort weiter nichts als dieselbe alte Leere auf ihn wartete. Die Nächte, in denen er nicht operierte, zunehmend angefüllt mit den Gespenstern der Vergangenheit. Die Sehnsucht nach irgendeinem anderen Halt, außer dem der Arbeit. Die Einsamkeit, durch nichts und niemanden lange genug zu vertreiben. Dann Prag. Neue Hoffnungen, neue Zuversicht, unversehens aus der Asche tot geglaubter Erwartungen herauf gestiegen. Doch ebenso zu Schanden geschossen wie alle anderen zuvor. Schließlich die Studenten auf den Warschauer Straßen: Zusammengetreten, überrollt, tot geprügelt, oder für ihre besten Jahre ins Gefängnis geworfen.
Hoffnung war nur ein verdammter Dreck. Und doch Zukunft begann jetzt - in diesem Augenblick.
„ Neuilly, oder die Botschaft“ drängte Rabier.
„ Zuerst muss ich wissen, was sich diese Leute in Neuilly von mir erwarten.“
Rabier hatte genug davon hier zu sitzen. Und er hatte genug davon, um den heißen Brei herum zu reden. Wenn er soweit gegangen war, Wajda bis zum Tor der Botschaft zu bringen, war es im Grunde auch gleich, ob er nun diesen einen Schritt weiterging oder nicht.
„ Also gut. Aber das muss unter uns bleiben. Versprechen Sie mir das?“
Wajda nickte.
„ Wir wissen, dass Sie letztes Jahr zusammen mit der Regierungsdelegation in Ostberlin waren. Und wir wissen, dass Sie von den drei Nächten, die für Sie ein Zimmer im Hotel gebucht war, nur zwei auch dort verbracht haben. Das hat irgendwen stutzig gemacht. Ein paar Leute begannen, sich Fragen zu stellen. Und nach und nach bekamen sie Antworten. Sie meinen, Sie hätten sich in einer schicken stillen Villa mit einem Mann namens Streit getroffen. Streit ist nicht sein richtiger Name. Sein richtiger Name ist Markus Wolf. Er ist der Chef der ostdeutschen Spionage. Wir kennen seinen Namen, wir
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