Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
Pferd erschossen.
„ Weshalb?“ Ratlos breitete ich meine Arme aus.
„ Was soll ich mit ihm machen in Danzig oder Königsberg? In den Städten verschwendet keiner Hafer an ein verdammtes Pferd solange er selber nichts zu fressen hat. Soll ich es wie die anderen der Wehrmacht überlassen, damit es von einer Granate zerfetzt wird und auf irgendeinem Schlachtfeld elend krepiert?“
Sie hatte Tränen in den Augen.
„ Rühr mich nicht an!“, rief sie als ich ihr für einen Augenblick zu nahe kam.
Sie ging ohne sich noch einmal umzusehen zum Gut zurück. Ich blieb, wo ich war. Starrte abwechselnd auf das tote Pferd und den Wald.
Sie hatte getötet, was ihr wahrscheinlich am Liebsten auf der Welt gewesen war. Wenn es noch einen winzigen Rest Zweifel gegeben hatte, so war er jetzt verschwunden. Sie würde fort gehen.
Ich holte sie einige hundert Meter vorm Gut ein. Ritt neben ihr her.
Ich glaube, sie hat mich nicht einmal bemerkt.
Eine halbe Stunde drauf waren die Pferde gesattelt und beladen, Decken und Proviant verteilt und die Türen des Hauses vernagelt.
Sie hatte mit Steffens tiefblauer Teerfarbe HAMBURG auf Fensterläden und Tür gepinselt. Grobe Kreuze tief im Wald und auf der Kuppe des Hügels und der Name einer fremden Stadt mit blauer Farbe auf dunkles Holz gepinselt, würden alles sein, was von ihr und den Leuten, die mit ihr hier gelebt hatten, bleiben würde.
Ich verschwendete zwei Schrotpatronen darauf den Rest der unwillig blökenden Schafe aus dem Stall auf den Hof hinauszutreiben.
Nichts ist für die Ewigkeit, außer dem Land und der See. Sie würden bleiben. Ihnen war gleich, wer von und mit ihnen lebte. Ausnahmslos allen würden sie früher oder später ihre ganz besonderen Stempel aufprägen. Darin und in der Erinnerung lag der einzige Trost, den es für die Vertriebenen je geben würde.
Selbst mit dem Packpferd im Schlepptau kamen wir schneller voran, als Max und ich mit dem Wagen vorangekommen waren. Keine zwei Stunden, bis wir einige hundert Meter vor einer Weggabelung im Wald unsere Tiere zügelten.
Der Abschied –auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte.
„ Ich kann nicht nach Norden gehen“, flüsterte sie. „Ich habe darüber nachgedacht, aber es geht nicht.
Ich habe bei den Russen nichts verloren. Selbst wenn wir es beide bis zu ihnen schaffen würden. Egal was passiert ist, ich gehöre da nicht hin. Es würde mir wie Verrat vorkommen.“
Sie legte ihre Hand auf meine Wange. Ihre Berührung traf mich wie ein Schlag.
„ Halte dich rechts von der Straße. Wenn Du die Nacht durchreitest, müsstest Du es vor der Dämmerung zur Küste geschafft haben.“
Ihre Hand immer noch auf meinem Gesicht. Immer noch die Wärme ihrer Haut auf meiner.
„ Wenn es vorbei ist werde ich nach dir suchen“, flüsterte ich und glaubte sogar, was ich da sagte. Sie schüttelte den Kopf.
„ Versprich mir, dass du nicht nach mir suchen wirst. Hörst Du?“
Ihre Hand verschwand.
„ Weshalb?“
Sie zwang ihr Pferd sich tänzelnd in Richtung Straße zu wenden.
„ Weil ich es nicht noch einmal ertragen könnte, vernünftig zu sein.“
Zorn, der plötzlich purpur vor mir aufstieg, mich umfloss – keinen Raum für irgendetwas anderes ließ.
„ Was soll das heißen - VERNÜNFTIG? Welche Vernunft? DEREN Vernunft? Sieh an, was DEREN Vernunft aus Dir und mir gemacht hat. DAS ist keine Vernunft, das ist Irrsinn!“
Sie warf den Kopf zurück, zügelte das Pferd.
„ Wenn es Irrsinn ist – dann ist Irrsinn eben alles, was ich noch habe.“
Zu Beginn war kein Schmerz in ihrem Blick, kein Zorn, keine Wut oder Trauer – nur unsägliche Enttäuschung. Doch in dem Moment, als sie zum zweiten Mal ihr Pferd zur Straße wendete, kam etwas Neues hinzu. Etwas, das wie trockene Tränen wirkte.
Ich bin siebenundsechzig Jahre alt, aber ziehe immer noch jeden Tag meinen Kittel über und betrete einen Operationssaal, um fremder Leute Bäuche, Brustkörbe und Hirne aufzuschneiden.
Wahrscheinlich werde ich eines Tages in meinem Operationssaal umfallen, und kurz darauf drei Stockwerke tiefer in demselben Keller landen, wo vor mir schon so viele landeten, für die meine Kunst nicht ausreichte.
Ich habe einen Ort in der Welt und sogar einen Platz im Leben anderer. Man könnte mich für einen glücklichen Mann halten. Man könnte meinen, ich hätte jede Menge Gründe, gelassen und zufrieden zu sein.
Doch ich habe Catherina nie wieder gesehen. Und seit fünfundzwanzig Jahren sehne
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