Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
beim letzten Mal. Seine Berührung war sanft und kraftvoll zugleich. Lily war zu ihm gekommen, um ihn zu trösten, und nun war sie den Tränen nahe. Sie klammerte sich an ihn, hielt ihn umschlungen; schließlich führte er sie zum Bett.
»Eigentlich wollte ich dir sagen, dass du ein wunderbarer Mann bist«, sagte sie, als sie Auge in Auge neben ihm lag. »Du hast so viel für Rose und mich getan, und es tut mir leid, dass ich dich vorhin so abgewimmelt habe, als du …«
Er legte einen Finger auf ihre Lippen.
»Du musst dich für gar nichts entschuldigen.«
Und dann erübrigte sich jedes Wort. Es galt nachzuholen, was sie in neun Jahren versäumt hatten. Lily ließ sich zurücksinken, die Hand auf seiner Brust. Er rollte herum, so dass er auf ihr lag, stützte sich auf seinen Ellenbogen, küsste ihre Wangen, ihre Lippen, ihren Hals, bis sie erbebte, erfüllt von einem schmerzlichen Verlangen. Doch ihr Arm war zwischen ihnen, ihre Hand auf seiner Brust und beide wussten, dass sie bereit war, ihn wegzustoßen – wie sie bisher immer alle weggestoßen hatte.
Jetzt oder nie – sie sehnte sich nach seinen Küssen, doch gleichzeitig waren ihre Reflexe auf Abwehr eingestellt. Ihr Rücken war gespannt, wie auf dem Sprung. Liams Augen waren von einem noch tieferen Blau als das Meer. Sie blickten sie mit solcher Offenheit an, während er sie küsste, langsam, ein Kuss nach dem anderen, dass sie spürte, wie ihr Widerstand erlahmte.
Sie seufzte, was Liam als Zeichen deutete. Er legte sich auf seine linke Seite und schlang den rechten Arm um sie, streichelte ihren Rücken, während er sie lange und leidenschaftlich küsste. Seine Zunge war heiß, und sie biss hinein – ganz leicht und zärtlich, aber so unerwartet, dass beiden die Sinne schwanden.
Sie entkleideten sich in fieberhafter Eile. Lily war nicht sicher, wer welche Knöpfe oder Reißverschlüsse öffnete – Hosen, T-Shirts und Unterwäsche landeten auf dem Fußboden, und dann sanken sie auf das Bett. Das einzige Licht im Raum, warm und gedämpft, kam von der kleinen Nachttischlampe. Sie hatte ihn nie mit nacktem Oberkörper gesehen. Sie traute sich nicht, genauer hinzuschauen.
Er lag auf dem Rücken, sah sie an. Ihr Blick schweifte von seinem starken, breiten Brustkorb zur linken Schulter. Sie wirkte muskulös und der Armstumpf endete etwa eine Handbreit unterhalb der Schulter.
Sie sah seine linke Körperseite – geschunden und zerfetzt, kreuz und quer von Narben und alten Nähten überzogen. Der Stumpf schien gut verheilt zu sein, aber die Seite erinnerte an die Verwüstungen des Hais, an die damalige Operation. Lily beugte sich vor und liebkoste sie behutsam mit den Lippen.
Sie hielten einander in den Armen und küssten sich; Liam ließ seine Hand an ihrem Rücken hinabgleiten, so dass sie sich ihm entgegenwölbte. Sein Kuss wurde drängender, und sie verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Er hob ihre Hüften, und sie sehnte sich mehr als alles in der Welt danach, ihn in sich zu spüren.
Sein Kuss war der Himmel auf Erden, doch seine Berührung raubte ihr den Verstand. Sie zitterte, spürte seinen Körper mit jeder Faser: Die geschwungene Linie seines Rückgrats, die schmalen Hüften, die breiten Schultern, die muskulösen Beine. Er hielt sie im Arm und wiegte sie, auch als sie sich mit einem leisen Seufzer fallen ließ, sich von allem löste, was alt und kalt und erstarrt war, auch, als sie zitterte und abermals seufzte – danach, weil sie nicht geahnt hatte, dass sie noch fähig war, zu fühlen und zu lieben.
Sie schliefen eng umschlungen ein. Lily wachte mehrmals auf, aber sie hatte keine Lust, in ihr Zimmer zurückzukehren – sie wollte Liam keine Minute missen. Sie lag neben ihm, erfüllt von unbändiger Freude. Er hatte sich im Schlaf umgedreht; sein rechter Arm umfing sie. Sie hielten sich umschlungen, als sei das die normalste und vertrauteste Sache der Welt. Als hätten sie sich schon seit Jahren geliebt und nur auf den idealen Zeitpunkt gewartet, um ein neues gemeinsames Leben zu beginnen.
Lily klammerte sich an das Hier und Jetzt, auch als ihre Augenlider zu flattern begannen und der Schlaf Besitz von ihr ergriff; sie kämpfte darum, wach zu bleiben, nur noch einen Moment, um das Gefühl auszukosten, bei Liam zu sein, zu wissen, dass Rose auf dem Weg der Besserung war.
Von dem Moment an, als Rose auf die Kinderstation verlegt wurde, machte ihre Genesung solche Fortschritte, dass es einem Wunder glich. Lilys Herz drohte vor
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