Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
worden, ein Fahrzeug zu beschaffen.
Lily lief los – der Wagen war da; sie musste nur noch einsteigen und sich von dem jungen Mann zur Autovermietung fahren lassen. Stumm eilte sie an Liam vorbei, wohl wissend, dass sie ihm Dank schuldete, aber dazu blieb keine Zeit. Die Hand bereits an der Beifahrertür, sah sie enttäuscht, wie der junge Mann von der Küstenwache den Motor ausschaltete und ausstieg.
»Nein!« Sie spürte, wie Panik in ihr aufwallte. »Bitte – wir müssen sofort los. Bitte steigen Sie ein, fahren Sie mich, bitte …«
Die junge Mann blickte sie verständnislos und leicht verlegen an. »Ma’am …«
»Jetzt gleich, oh, bitte – Sie müssen mich fahren, ich bin spät dran, ich muss zu meiner Tochter!«
»Steig ein, Lily.« Liam öffnete die Beifahrertür.
»Oh, danke, Liam«, rief sie völlig aufgelöst. Sie war ihm wirklich zu großem Dank verpflichtet. »Sag ihm, dass er mich sofort zur Autovermietung bringen soll, schnell, ja?«
Liam antwortete nicht. Er schloss die Beifahrertür, nachdem sie eingestiegen war. Dann redete er mit den beiden Männern der Küstenwache, die untätig herumstanden – sich über irgendetwas unterhielten und Zeit vertrödelten. Endlich wurden die Schlüssel übergeben, noch ein paar Abschiedsworte ausgetauscht – großer Gott! Sie hätte am liebsten losgebrüllt.
Als Liam die Fahrertür öffnete, blickte sie ihn fuchsteufelswild an. Tränen traten in ihre Augen – Tränen der Wut, der Entrüstung und Erbitterung – weil sie ohne das Geplänkel der Männer längst bei der Autovermietung gewesen wäre, weil Roses Geburtstag verdorben war und Roses Herz seinen Dienst versagt hatte.
»Herrgott Liam, ich muss los!«
»Ich weiß, Lily.« Er stieg ein, griff mit dem gesunden Arm an seinem Körper vorbei und schloss die Fahrertür. Dann drehte er den Zündschlüssel um und ließ den Motor an.
» Du bringst mich zur Leihwagenfirma?«, fragte sie verständnislos.
»Zur Klinik.«
»Aber die ist in Melbourne.« Sie begriff immer noch nicht, überschlug rasch die Zeit, die sie brauchen würde, um einen Wagen zu mieten, und wunderte sich, warum Liam nicht verstand, dass es eines weiteren Schrittes bedurfte, bis sie zu Rose fahren konnte.
»Ich weiß.«
»Liam …«
»Der Kommandant ist ein Freund von mir. Das hier ist ein Privatwagen – er leiht ihn uns, damit ich dich in die Klinik bringen kann.«
Lily war zu betäubt für lange Diskussionen, doch allmählich ging ihr ein Licht auf, als er auf die Straße zum Leuchtturm fuhr, sobald es ging Gas gab und zum Highway brauste, der nach Süden in Richtung Melbourne führte. Der Wagen war sportlich, mit Vierradantrieb und Dachgepäckträger, der Rücksitz angefüllt mit Bojen, einer von getrocknetem Seetang und Muschelkolonien verkrusteten Angelschnur und einer riesigen Taschenlampe.
»Was macht der Kommandant ohne sein Auto?«, fragte Lily.
»Er benutzt den Dienstwagen, einen Truck.«
»Warum tust du das für mich?«
»Weil du nach Melbourne musst.«
»Ich hätte doch selber fahren können.«
»Du musst so schnell wie möglich nach Melbourne. Und ehrlich gestanden, ich war mir nicht sicher, ob du in deinem Zustand fahren kannst.«
»Das ist nicht dein Problem.«
Liam schwieg, trat das Gaspedal durch. Sie zuckte innerlich zusammen und hoffte, dass sie nicht so undankbar geklungen hatte, wie sie sich fühlte. Die Meilen flogen nur so dahin – die Schnellstraße war auf der einen Seite von Fichten und Eichen und auf der anderen Seite vom offenen Meer gesäumt. Selbst von der Küste aus waren die Wasserfontänen der Wale in der Bucht sichtbar. Lily dachte an Roses Gesicht, an den Ausdruck in ihren grünen Augen, als sie Nanny entdeckt hatte. Sie schloss die Augen ganz fest, um diesen Augenblick des Staunens zu bewahren.
Dann öffnete sie die Augen wieder und sah Liam an.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
»Schon gut.« Er blickte angestrengt auf die Straße, als sei ihm nicht das Geringste an einer Unterhaltung gelegen. Seine Augen, von einem dunklen Graublau, wirkten völlig konzentriert. Sonnenlicht drang durch die Zweige, die über der Straße hingen, Lichtblitze, die seine Augen hell, dann dunkel und abermals hell erscheinen ließen.
»Im Ernst. Das hätte ich nicht sagen sollen. Das war gemein.«
»Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Sie wusste, dass er nicht vom Highway sprach.
»Ja, leider. Und ich habe es seither bereut.«
Er warf ihr einen raschen Blick zu.
»Nicht aus den
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