Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
dachte ich, dass inzwischen Gras über die Sache gewachsen wäre«, meinte Edward. »Aber es ist jedes Jahr das Gleiche – im Juni und Juli, kurz nachdem Mara verschwand, vermisse ich sie am meisten. Ich bin nie darüber hinweggekommen, das schwöre ich. Ich hatte gehofft, wir könnten miteinander reden …«
»Es ist genau neun Jahre, drei Wochen und sechs Tage her …«, sagte Maeve.
»Wenn wir miteinander reden könnten …«
»Ich halte das für keine gute Idee«, meinte Clara. »Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Edward.«
»Ich bin im Hawthorne Inn abgestiegen«, sagte er. »Für die nächsten drei Tage. Ich lebe jetzt in der Nähe von Boston, aber ich habe geschäftlich in der Gegend zu tun … für den Fall, dass du deine Meinung änderst, Maeve.«
»Danke, dass du Maras Sachen vorbeigebracht hast«, sagte Clara so kühl, wie es ihr, der warmherzigsten Person der Welt, möglich war. Genau in diesem Moment hörten sie, wie die Pumpe des Boilers unter dem Cottage rasselnd ansprang. Seltsam, dachte Maeve, sie hatte doch gar kein heißes Wasser laufen lassen.
»Was war denn das für ein Geräusch?«, fragte Edward.
»Das geht dich nichts an.«
»Das solltest du besser von einem Fachmann anschauen lassen«, meinte er, aber Maeve ignorierte ihn. Sie wandte den Blick ab, bis sie Edwards Auto anspringen hörte. Es war ein großer schwarzer Mercedes mit einem Kennzeichen von Massachusetts und niedriger Autonummer. Sie sah, wie er eine dunkle Pilotenbrille aufsetzte, sein Gesicht im Rückspiegel musterte. Dann fuhr er bis zur Wendestelle der Sackgasse und brauste davon.
»Lackaffe, schaut immer noch bei jeder Gelegenheit in den Spiegel«, sagte Clara. »Ich weiß noch, wie Mara ihn zum ersten Mal mit nach Hause brachte und du sagtest, dass du ihm nicht traust, weil er nur Augen für sich selbst hat.«
»Sie hat ihn geliebt.«
»Und das hast du akzeptiert. Warum wolltest du die Tasche nicht annehmen?«
Maeve wischte sich die Tränen aus den Augen. »Weil ich Angst hatte, dass er es sich anders überlegt, wenn er gemerkt hätte, wie sehr mir daran liegt.«
»Aber er hat den weiten Weg auf sich genommen, um sie dir zu bringen.«
»Du kennst Edward nicht. Niemand kennt ihn wirklich.«
»Er schien so charmant zu sein«, gestand Clara. »Und so verletzlich. Sogar jetzt noch … trotz allem, was wir über ihn wissen.«
Maeve nickte. Ihr Magen verkrampfte sich. Dank seines Charmes und seiner zuvorkommenden Art hatte Edward es weit gebracht in dieser Welt. Es gelang ihm immer noch, Menschen wie Clara hinters Licht zu führen. Patrick Murphy war der Einzige gewesen, der ihn durchschaut hatte. Trotz des Mordverdachts, der auf ihm lastete, hatte Edward es geschafft, Kunden zu gewinnen und Karriere zu machen. Die Menschen hatten ein kurzes Gedächtnis, insbesondere im Umgang mit einem Charmeur wie Edward.
»Lass uns ins Haus gehen«, schlug Maeve vor. Abermals hörte sie es scheppern – die Pumpe, die Lärm machte. Sie musste dringend den Klempner anrufen, damit er sich den Boiler ansah. »Ich kann keine Sekunde länger warten. Clara, halt meine Hand.«
»Alles in Ordnung?«
»Ich muss nur sehen, was in der Tasche ist.« Maeve hatte das Gefühl, als schwänden ihr die Sinne; ihre Augen füllten sich mit Tränen, als ihr bewusst wurde, dass sie gleich Dinge sehen und berühren würde, die einst Mara gehört hatten.
Kapitel 17
L iam war nach Cape Hawk zurückgefahren, um dem Kommandanten seinen Wagen wiederzubringen, seine Post durchzusehen, ein paar Änderungen an einem Forschungsprogramm vorzunehmen, das an den Stränden östlich von Halifax lief – wo der große weiße Hai letzten Monat einen Menschen angegriffen hatte –, und Kleidung und andere persönliche Dinge für Lily zu holen.
Er hielt am Gasthof, um Anne einen kurzen Besuch abzustatten, die nach Lilys Haus gesehen hatte. Sie nahm den Sack mit der schmutzigen Wäsche entgegen und gab ihm einen Sack mit sauberen Sachen. Sie standen an der Rezeption, und Anne wollte alles haarklein wissen. An diesem Abend spielte eine Ceili-Band, und ihre keltische Musik füllte die Eingangshalle.
»Rose geht es von Tag zu Tag besser«, berichtete er. »Sie wird morgen nach Boston verlegt. Die Ärzte meinen, sie sei transportfähig.«
»Gott sei Dank. Wie hält sich Lily?«
»Es geht ihr gut.« Liam behielt die Wahrheit lieber für sich. Seine Augen schienen indes mehr zu sagen als Worte, denn Anne kam um den Tresen herum und umarmte ihn.
»Umarme sie
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