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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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hatte.
    »Im Krankenhaus.«
    »Wie geht es den beiden?«
    »Sie halten sich tapfer, wie immer. Hör mal – Anne sagte, dass keines deiner Boote Nanny gesehen hat.«
    »Stimmt. Sie ist spurlos verschwunden.«
    »Ich habe gesehen, dass Lafarge sie beobachtet hat. Er hasst mich und kennt mein Verhältnis zu den Belugas, insbesondere zu ihr.«
    »Wahrscheinlicher ist, dass er weiß, wie du zu Rose stehst, und am Tag ihrer Party bemerkt hat, wie begeistert sie und ihre Freundinnen von Nanny waren. Diese Ratte.«
    »Glaubst du …«
    »Mist, verdammter. Zutrauen würde ich es ihm. Ich werde mal klammheimlich meine Fühler ausstrecken. Ein Teil seiner Mannschaft gehört zu den Stammgästen der Bar in unserem Gasthof. Vielleicht kann ich etwas aus ihnen herausbekommen.«
    Liam bedankte sich bei seinem Cousin und legte auf. Er musste los, nach Melbourne. Er ließ seinen Laptop eingeschaltet, gab ›MM122‹ ein und klickte die Suchfunktion an, damit er mit einem Piepton benachrichtigt wurde, sobald der Beluga auftauchte. Doch der Computer gab keinen Muckser von sich, und der Weg schien mit jeder Meile länger zu werden.
    Nanny zu verlieren – daran mochte er nicht einmal denken. Erinnerungen an Connor gingen ihm durch den Kopf, aber mehr noch musste er an Rose denken. Wie sollte er ihr beibringen, dass Nanny etwas passiert sein könnte?
    Das ging über seine Kräfte. Dafür fehlte selbst einem rauhbeinigen Burschen, einem mit allen Wassern gewaschenen Haiforscher der Mumm.

    Lily saß neben der schlafenden Rose. Sonnenlicht flutete durch das Fenster. Sie hatte den ganzen Tag keinen Fuß vor die Tür gesetzt, so dass man leicht vergessen konnte, wie es im Sommer war. Sie stickte, wie immer, wenn sie im Krankenhaus war; aus diesem Grund ging ihr die Arbeit auch so flott von der Hand. Sie empfand es als tröstlich, die Nadel im Gitterleinen ein- und auszuführen, eine monotone, sich ständig wiederholende Bewegung, genau wie die Atmung oder der Herzschlag. Nach ein paar Minuten schloss sie die Augen, und die Bilder, die sie vor sich sah, stammten aus Sommern, die einer fernen Vergangenheit angehörten, aus ihrer Kindheit.
    Ein Garten, angefüllt mit roten Rosen, orangefarbenen Taglilien und Geißblatt, ein betörender Duft, vermischt mit einem Hauch der herben salzhaltigen Luft … Die salzhaltige Luft in der Felsenlandschaft von Cape Hawk war nicht zu vergleichen mit den Gerüchen ihrer Kindheit, nach Dunstschleiern über dem Meer, gepaart mit dem Geruch der Gezeitenlinien an einem Sandstrand und dem leichten Fäulnisgeruch der sumpfigen Niederungen. Nicht, dass es in ihrer früheren Heimat keine Felsen gab … es gab sie durchaus. Lange Felsbänke aus Granitgestein, die zum Wasser hin abfielen, unmittelbar vor dem Cottage, das sie als ihr Zuhause empfunden hatte, solange sie denken konnte. Sie dachte an die Frau, die sie über alles liebte, bei der sie aufgewachsen war –
    Lily öffnete die Augen. Nicht daran denken, ermahnte sie sich. Das war zu hart, zu schmerzlich. Sie betrachtete Rose, die an Drähte und Maschinen angeschlossen war, und wusste, wenn sie sich in Erinnerungen an die Vergangenheit verlor, würde sie die nächste Phase der Behandlung nicht durchstehen und zusammenbrechen. Sie nahm ihre Stickarbeit wieder auf, empfand die Bewegungen als beruhigend.
    Sie hatte ihre Entscheidungen aus Liebe getroffen. Nicht weniger als das Leben mehrerer Menschen stand auf dem Spiel. Sie war mit der Lektüre der Nancy-Drew-Detektivgeschichten aufgewachsen, hatte Filme über Menschen gesehen, die untertauchten, ihre Identität wechselten. Ein solcher Schritt war stets mit tiefgreifenden Verlusten verbunden – man opferte die Familie, Beziehungen, die endlose Liebe zwischen den Generationen. Andererseits wurde dadurch auch etwas gerettet, nämlich Menschenleben. Es gab nicht nur die Mächte des Guten, sondern auch die Mächte des Bösen in der Welt, und Lily war ihnen begegnet. Niemand hätte ihr geglaubt, weil die Maske, die er trug, so überzeugend war. Er war ein Meister in der Kunst, sich zu verstellen.
    Sie dachte an den Fall Scott Peterson, der unlängst für Schlagzeilen gesorgt hatte; sogar die Familie seiner Frau war anfangs auf seiner Seite gewesen. Vermutlich hätte nicht einmal Laci selbst es für möglich gehalten, dass er sie kaltblütig ermorden würde, bis sie seine Hände um ihren Hals spürte. Wie konnte Lily jemandem verständlich machen, dass sie alles, aber auch alles getan hätte, um Rose und sich

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