Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
ganzen Land. Sie ist in guten Händen …«
»Ich fürchte, ich bin an ihrer Herzerkrankung schuld«, gab sie flüsternd zurück.
»Wie denn? Das ist unmöglich.«
»Du weißt nicht, wie das damals war.« Erregt lief sie im Gang auf und ab. »Ich war ständig in Unruhe, die ganze Zeit, die ich mit ihm zusammen war, mit Roses Vater. Und dann dieses Engegefühl in der Brust – ich dachte jedes Mal, es sei ein Herzanfall. Ich hatte fürchterliche Angst. Damals war ich schon schwanger, und vermutlich wurde die Gesundheit des Babys dadurch beeinträchtigt.«
»Du meinst, durch deine Empfindungen? Nein.«
»Ich hätte ihn früher verlassen sollen.«
»Lily, ich weiß nicht, was genau passiert ist, warum du ihn verlassen hast. Ich wünschte, du würdest es mir erzählen.«
»Ich kann nicht.« Sie hatte schon viel zu viel gesagt. Ihr Mann hatte stets großen Wert darauf gelegt, alles zu vertuschen. Er hatte sie nie geschlagen – kein einziges Mal. Er war nie handgreiflich geworden, denn das hätte Spuren hinterlassen. Und sie hatte nie die Polizei gerufen – weil es keine gesetzliche Handhabe gegen ihn gab. Was er tat, war mörderisch, aber nicht gesetzeswidrig. Niemand würde ihr glauben, dass ihr Mann ein Mörder war.
»Doch, du kannst«, sagte Liam mit Nachdruck. »Ich werde alles tun, um dir zu helfen … Er kann dir nicht mehr gefährlich werden. Ich werde dafür sorgen, dass er dir nie wieder ein Haar krümmt.«
»Du verstehst das nicht. Das Gesetz ist auf seiner Seite. Wenn man nicht selbst Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, kann man das Ganze nicht nachvollziehen. Er war ein Raubtier.«
»Ich glaube dir.«
»Und glaubst du auch, dass sich Roses Krankheit darauf zurückführen lässt, was uns vor ihrer Geburt widerfahren ist? Denn das ist die Wahrheit. Wir leiden beide an gebrochenem Herzen.«
»Wenn du es sagst.« Liam hatte mit ernster Miene ihr Gesicht berührt. »Ich glaube dir.«
»Danke.«
»Lily, hör mich an. Was immer er dir auch angetan hat, ich möchte, dass du eines weißt: Rose und du, ihr könnt auf mich zählen – ich werde immer für euch da sein. Es soll euch an nichts fehlen.«
»Das kann ich nicht annehmen …«
»Wenn du es nicht für dich selbst annehmen kannst, dann tu es für Rose. Ich bin Biologe, kein Mediziner. Aber eines weiß ich – ihr beide liegt mir am Herzen, seit ich Rose auf die Welt geholfen habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so etwas versprechen würde, Lily – ich war nie verheiratet, nie verlobt, nie Vater. Ich bin weder verwandt mit euch noch verschwägert, aber ich werde immer für euch da sein, solange ich lebe. So ist es nun mal.«
»Liam …«
»So ist es nun mal«, sagte er mit ernstem, beharrlichen Blick. »Ob es dir gefällt oder nicht.«
Und dann hatte der Doktor sie hereingerufen. Es war an der Zeit, Rose in den OP zu bringen, der Eingriff konnte beginnen. Lily, die reglos dastand, als die Liege mit ihrer Tochter entschwand, hatte das Gefühl, als würde ihr Herz bersten – doch Liam hatte ihre Hand genommen. Er hatte sie die ganze Zeit über gehalten, während Rose im OP war. Das Ärzteteam führte eine doppelte Bypass-Operation an ihrem kleinen Baby durch, unter Anlage eines Blaylock-Taussig-Shunts – damit sich die Lungendurchblutung verbesserte.
Erst als die Ärzte wieder auftauchten, ließ Liam Lilys Hand los. Was er gesagt hatte, klang tröstlich – sehr edelmütig. Doch Rose hatte den Eingriff überlebt, so dass jeder wieder seiner Wege gehen konnte. Die Chirurgen erklärten ihr und Liam, dass dieser Eingriff lediglich eine zeitweilige Erleichterung sein würde, bis Rose alt genug für eine umfangreichere Operation sei.
»Umfangreicher?« Lily spürte, wie ihre Knie schwach wurden.
»Mrs. Malone, Fallotsche Tetralogie bedeutet, dass vier verschiedene Defekte vorhanden sind. Es bedarf einer umfassenden, komplexen Operation zur vollen Wiederherstellung der Herzfunktion. Bis dahin liegt noch ein harter Weg vor ihr. Aber Rose ist ein erstaunliches Mädchen – stark, eine Kämpferin.« Das Gespräch plätscherte dahin, aber Lily hörte nicht mehr zu. Sie verschloss sich, unfähig, die Schreckensnachricht zu verdauen.
»Das stehen wir nicht durch«, sagte Lily schluchzend zu Liam, als die Ärzte gegangen waren.
»Doch, das schaffst du. Du musst.«
»Ich kann nicht. Ich kann nicht mit ansehen, wie sie leidet.«
»Lily, meine Mutter konnte mich auch nicht leiden sehen, nach dem Tod meines Bruders. Ich
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