Wolken über der Wüste
und sah ihm direkt in die Augen.
Die beiden Männer tauschten einen amüsierten Blick. Der Kleine nahm den Wein und kam kurz darauf mit einem Glas Wasser zurück. Er stellte es mit einer Verbeugung vor sie hin.
„Ich heiße Brianne“, sagte sie, „und wie heißen Sie?“
Der Kleine war überrascht. „Rashid“, sagte er.
„Und Sie?“ fragte sie den Großen.
„Mufti“, murmelte er verlegen.
„Arbeiten Sie schon lange für Philippe Sabon?“
„Nein, nicht lange.“ Das war Rashid, der allmählich etwas deutlicher sprach. Offensichtlich hatte er schon lange kein Englisch gesprochen, fing aber langsam an, sich wieder an die Sprache zu erinnern. „Er hat unser Dorf sehr unterstützt, mit Geld und Medikamenten und Nahrungsmitteln für die Armen.“
Das überraschte sie, aber wahrscheinlich haben selbst die übelsten Typen irgendwo noch ein weiches Herz, dachte sie. „Seine Mutter war doch Araberin?“ So was hatte sie mal gehört.
Rashid nickte. „Ja, seine ganze Familie.“
„Aber er hat einen französischen Namen.“
Rashid blickte kurz auf den großen Mann, der den Kopf schüttelte. „Es gibt manches, über das ich nicht sprechen darf. Aber eins ist klar, Monsieur Sabon tut viel für unser Land. Er ist ein tapferer und guter Mann.“
„Er ist ein Kidnapper“, meinte sie verächtlich.
Er zuckte mit den Schultern. „Manches ist anders, als es aussieht, Mademoiselle. Wir leben in schwierigen Zeiten, aber wir werden alles tun, um zu überleben.
Inshallah“
, fügte er hinzu.
Wenn es Gott gefällt
. Er schwieg eine Weile. „Wir sind immer in Gefahr, von unserem Feind überrollt zu werden“, sagte er dann, „der uns sogar das bisschen Öl neidet, das wir gerade entdeckt haben.“
Brianne spitzte die Ohren. Was hatten die mit dem Öl vor? Und welchen Feind meinten sie? Den Westen?
„Miss Martin“, fing Rashid jetzt wieder an, „die westlichen Staaten brauchen das Öl dringend. Wir haben die größten Vorkommen in der Gegend. Früher hat der Westen alles unter seine Kontrolle gebracht, die Gewürzproduktion in Indien, die Kautschukausbeute in Afrika, die Teepflanzungen im Fernen Osten. Noch heute verschwinden die Regenwälder immer mehr, weil der Westen das Holz braucht, und die Fastfood-Ketten wollen mehr Grasland, um mehr Rinder züchten zu können.“
Sie starrte die beiden Männer aus weit geöffneten Augen an. Sie hatte sie für Schläger gehalten, für Rohlinge. Und nun musste sie feststellen, dass sie mehr von der Weltpolitik wussten als sie.
„Sie sind noch sehr jung“, sagte Mufti, „und Sie wissen nicht, wie hässlich der Kapitalismus sein kann und wie böse die Menschen.“
„Ein paar Erfahrungen habe ich schon“, sagte sie, führte das aber nicht weiter aus, sondern sah die beiden Männer neugierig an. „Ich verstehe eins nicht. Sie sind doch beide intelligent, warum arbeiten Sie dann für einen Mann wie Philippe Sabon?“
„Ich habe vier Kinder“, sagte Rashid. „Eins hat Krebs, und Monsieur Sabon bezahlt die teure Behandlung in Frankreich.“
„Und ich habe meine Familie und mein Zuhause verloren, als die Bomben fielen, während meine Frau den beiden Kleinen etwas zu essen machte.“ Mufti konnte nicht mehr weitersprechen. Er fasste die Waffe fester, wie um sich Mut zu machen. „Monsieur Sabon hat davon gehört und mir angeboten, für ihn zu arbeiten.“ Mufti trat von einem Bein auf das andere, als fühle er sich nicht ganz wohl bei dem, was er erzählte. Irgendetwas daran war auch merkwürdig. Er war doch nicht mehr sehr jung, sondern war wahrscheinlich so alt wie Briannes Vater. Und dann hatte er noch zwei kleine Kinder?
„Rashid, wir reden zu viel.“ Mufti wies mit der Waffe auf die Tür. „Wir müssen gehen.“
Brianne sah in die beiden dunklen Gesichter, die von schweren Schicksalsschlägen gezeichnet waren, und fühlte sich nicht mehr so bedroht. Ihr eigenes Leben war relativ sorgenfrei verlaufen, und sie hatte nie lernen müssen, mit einer Waffe umzugehen und im Krieg zu kämpfen. Was hatten diese Männer dagegen schon ertragen müssen. Sie dachte an Muftis Frau und Kinder, die im Bombenhagel umgekommen waren. Man musste die Dinge eben immer von mehreren Seiten betrachten.
„Es tut mir so Leid, ich meine, die Sache mit Ihrer Familie“, sagte sie teilnahmsvoll zu Mufti.
Er sah sie nicht an. Offensichtlich fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. „Aber dafür können Sie doch nichts, Miss Martin. Wir leben in einer traurigen Welt. Die
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