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Wolken über Ebou

Wolken über Ebou

Titel: Wolken über Ebou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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deutlich im Auge behalten. Er sprang die breiten Marmorstufen eines Palasts hinauf, erblickte den Hut erneut, lief wieder hinab und drängte weiter vorwärts. Der Rand eines großen Springbrunnens ermöglichte ihm einen weiteren Blick, dann ein umgedrehtes Faß an einer Wand und eine Kiste, die gerade von einem Ochsenkarren geladen worden war. Einmal klammerte er sich an die Seite eines Wagens, bis ihn die Kutscherin mit ihrer Peitsche bedrohte. Durch all sein Klettern und Schauen kam er der Schattenfreundin nicht wesentlich näher. Aber andererseits wußte er auch nicht, was er tun sollte, falls er sie einholte. Plötzlich, als er sich auf die schmale Mauerkrönung vor einem der großen Häuser zog, war sie nicht mehr da.
    Er blickte erschreckt die Straße hinauf und hinab. Die weißen Federn wogten nicht mehr durch die Menge. Er konnte leicht ein halbes Dutzend Häuser wie dasjenige, an dem er kauerte, mehrere Paläste unterschiedlicher Größen, zwei Gasthäuser, drei Schenken, den Laden eines Scherenschleifers mit einem Messer und einer Schere auf dem Ladenschild, einen Fischhändler mit fünfzig Sorten Fisch, zwei Teppichknüpfer mit eingerollten Teppichen auf Tischen unter den Planen, einen Schneiderladen und vier Stoffverkäufer, zwei Läden mit Lackwaren, einen Goldschmied, einen Silberschmied, einen Mietstall und anderes überblicken. Die Liste war zu lang. Sie hätte in jedes dieser Gebäude hineingehen können. Sie hätte, von ihm unbemerkt, um eine Ecke gehen können.
    Er sprang wieder hinab, richtete seinen Hut und murrte leise vor sich hin ... und sah sie plötzlich oben auf einer breiten, zu einem ihm fast gegenüberstehenden Palast führenden Marmortreppe stehen, bereits halbwegs von hohen, kannelierten Säulen verborgen. Es war kein großer Palast, er wies nur zwei schmale Erker und eine einzige birnenförmige, gestreifte Kuppel auf. In den Palästen Ebou Dars war das Erdgeschoß stets Dienern und Küchen und ähnlichem vorbehalten. Die besseren Räume waren höher angesiedelt, um jede Brise zu nutzen. Schwarz und Gelb livrierte Türsteher verbeugten sich tief und öffneten die verzierten Türen bereits weit, noch bevor die Frau sie erreicht hatte. Eine Dienerin im Innern vollführte einen Hofknicks, sagte offensichtlich etwas, wandte sich dann sofort um und führte sie weiter hinein. Die Frau war dort bekannt. Er hätte alles darauf verwettet.
    Nachdem sich die Türen geschlossen hatten, stand Mat eine Weile nur da und beobachtete den Palast. Es war bei weitem nicht der wohlhabendste in der Stadt, aber nur ein Adliger würde es wagen, ein solches Gebäude zu errichten. »Aber wer, im Krater des Verderbens, lebt dort?« murmelte er schließlich, während er seinen Hut abnahm, um sich Luft zuzufächeln. Nicht sie, nicht, wenn sie zu Fuß gehen mußte. Einige in den Schenken entlang der Straße gestellte Fragen würden ihm Aufschluß geben. Und die Nachricht, daß er Fragen stellte, würde gewiß auch bis zum Palast durchsickern.
    Jemand sagte: »Carridin.« Es war ein dürrer, weißhaariger Bursche, der in der Nähe in den Schatten herumlungerte. Mat sah ihn fragend an, und er grinste, wodurch Zahnlücken sichtbar wurden. Seine gebeugten Schultern und das verwitterte Gesicht paßten nicht zu seinem edlen grauen Umhang. Trotz etwas Spitze an seinem Hals war er das Abbild schlechter Zeiten. »Ihr habt gefragt, wer dort lebt. Der Chelsaine-Palast wurde an Jaichim Carridin verpachtet.«
    Mat hielt in seiner Bewegung inne, sich Luft zuzufächeln. »Ihr meint den Gesandten der Weißmäntel?«
    »Ja. Und den Inquisitor der Hand des Lichts.« Der alte Mann tippte mit einem knotigen Finger seitlich an seine Hakennase. Beide schienen mehrmals gebrochen gewesen zu sein. »Kein Mann, den man stören sollte, wenn man nicht unbedingt muß, und selbst dann würde ich noch dreimal darüber nachdenken.«
    Mat summte unbewußt einige Töne aus ›Sturm von den Bergen‹ vor sich hin. Tatsächlich - kein Mann, den man stören sollte. Zweifler waren die unangenehmsten Weißmäntel. Ein Weißmantel-Inquisitor, dessen Ruf eine Schattenfreundin folgte.
    »Danke...« Mat zuckte zusammen. Der Bursche war fort, von der Menge verschluckt. Seltsam, aber er war ihm irgendwie vertraut erschienen. Vielleicht ein weiterer, vor langer Zeit gestorbener Bekannter aus jenen alten Erinnerungen. Vielleicht... Dann traf es ihn, als wäre das Schauspiel eines Feuerwerkers in seinem Kopf explodiert. Ein weißhaariger Mann mit Hakennase.

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