Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolken über Ebou

Wolken über Ebou

Titel: Wolken über Ebou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
Tage.«
    Gesindel, sie alle. Goldgräber und Jäger des Horns, Diebe, Flüchtlinge und sogar Kesselflicker. Abschaum. Es wäre leicht, Aufstände zu schüren, eine Säuberung von all diesem Unrat zu bewirken. Fremde waren stets das erste Ziel, ihnen wurde regelmäßig die Schuld an dem zugeschoben, was falsch war, ebenso wie den Nachbarn, die das Pech hatten, auf der falschen Seite der Mißgunst zu stehen, den Frauen, die mit Kräutern und Heilmitteln hausieren gingen, und Menschen ohne Freunde, besonders, wenn sie allein lebten. Richtig und so behutsam, wie in solchen Fällen möglich, angeleitet, könnte ein guter Aufstand sehr wohl den Tarasin-Palast rund um dieses nutzlose Weibsbild Tylin und auch um die Hexen herum niederbrennen. Er betrachtete den Menschenschwarm unter dem Fenster. Aufstände hatten die Tendenz, außer Kontrolle zu geraten. Die Bürgerwehr würde sich vielleicht regen, und eine Handvoll wahrer Freunde würden unausweichlich hart herangenommen werden. Er durfte es nicht riskieren, daß einige jener vielleicht den Kreisen entstammten, die er gejagt hatte. Auch nur einige wenige Tage eines Aufstands würden ihre Arbeit unterbrechen. Dafür war Tylin nicht wichtig genug. Sie war tatsächlich überhaupt nicht wichtig. Nein, noch nicht. Er konnte riskieren, Niall zu enttäuschen, aber nicht seinen wahren Herrn.
    »Mein Lord Carridin...« In Shiaines Stimme klang jetzt ein wenig Trotz mit. Er hatte sie zu lange schmoren lassen. »Mein Lord Carridin, einige der Mitglieder meines Kreises stellen in Frage, warum wir die Suche nach...«
    Er wollte sich umwenden und sie barsch zurechtweisen - er brauchte einen Erfolg, keine Ausflüchte, keine Fragen! -, aber ihre Stimme wurde unhörbar, als sein Blick auf einen jungen Mann fiel, der in einem blauen Mantel mit genug rotgoldener Stickerei an Ärmeln und Aufschlägen für zwei Adlige schräg gegenüber auf der Straße stand. Größer als die meisten anderen, fächelte er sich mit einem breitkrempigen schwarzen Hut Luft zu und richtete sein Halstuch, während er mit einem gebeugten weißhaarigen Mann sprach. Carridin erkannte den jungen Mann.
    Er fühlte sich plötzlich, als wäre eine Schlinge um seinen Kopf gelegt worden, die immer fester zugezogen wurde. Einen Augenblick sah er ein hinter einer roten Maske verborgenes Gesicht. Nachtdunkle Augen starrten ihn an, und dann waren da unergründliche Flammenhöhlen, die ihn noch immer anstarrten. Die Welt brach in seinem Kopf in Feuer aus, in wasserfallartig herabstürzende Bilder, die ihn so zerschlugen, daß er nicht einmal schreien konnte. Die Gestalten dreier junger Männer schwebten in der Luft, und eine der Gestalten begann zu glühen, die Gestalt des Mannes auf der Straße, heller und immer heller, bis sie alle lebendigen Augen zu Asche versengt haben mußte, und noch heller - bis sie brannte. Ein gedrehtes goldenes Horn schoß auf Carridin zu, und sein Schrei zerrte an seiner Seele, brach dann in einen Ring goldenen Lichts auf, verschlang ihn und durchdrang ihn mit Kälte, bis das letzte Bruchstück seiner selbst, das sich noch an seinen Namen erinnerte, sicher war, seine Knochen müßten zersplittern. Ein Dolch mit Rubinspitze wirbelte direkt auf ihn zu, die gebogene Klinge traf ihn zwischen die Augen und versank in ihm, bis das goldumwickelte Heft vollkommen verschwunden war, und er erfuhr Qualen, die alle Gedanken in einer Woge von Schmerz fortspülten. Er hätte zu einem Schöpfer gebetet, den er schon lange aufgegeben hatte, wenn er sich daran erinnert hätte, wenn er sich erinnert hätte, daß Menschen schrien, daß er ein Mensch war. Immer weiter, immer mehr...
    Er hob eine Hand an seine Stirn und fragte sich, warum sie zitterte. Sein Kopf schmerzte heftig. Da war etwas gewesen... Er sah erschreckt auf die Straße unter ihm. Alles hatte sich im Handumdrehen verändert, die Menschen waren anders, die Wagen waren entfernt worden, bunte Kutschen und Sänften waren durch andere ersetzt worden. Und was noch schlimmer war - Cauthon war fort. Er hätte am liebsten die ganze Flasche Weinbrand in einem Zug getrunken.
    Plötzlich erkannte er, daß Shiaine aufgehört hatte zu sprechen. Er wandte sich um, bereit, sie weiterhin in ihre Schranken zu verweisen.
    Sie beugte sich vor, um aufzustehen, eine Hand auf der Sessellehne, die andere zu einer Geste erhoben. Ihr schmales Gesicht war in einem Ausdruck verdrießlicher Herausforderung erstarrt. Aber sie sah nicht Carridin an. Sie regte sich nicht. Sie blinzelte

Weitere Kostenlose Bücher