Wolkenfern (German Edition)
Warschau gefahren ist, um Izaura und Leoncio zu sehen, da hat sie sich auf der Rückfahrt im Speisewagen eine Lebensmittelvergiftung geholt, diese Schmutzfinken, was hatte sie aber auch geritten, dort Kutteln zu essen.
Als der Herbst anfängt und es bis ins Krankenhaus nach dem Rauch auf den Feldern riecht, wacht Jadzia immer noch am Bett ihrer Tochter. Zum werweißwievielten Mal singt Jadzia Weine nicht, Mutter, du sollst dich nicht grämen, mein Schmerz wird nicht heilen von deinen Tränen. Der Wind lässt das Fenster des Krankenzimmers zufallen, und in dem Augenblick schlägt Dominika Chmura die Augen auf.
I
Mehrmals im Monat ging Grażynka in den Wald, der hinter den Feldern begann, man sah ihn aus den Fenstern ihres Hauses, die dunkelblaue Reihe ausgefranster Baumwipfel auf dem Hügelkamm. Im ganzen Dorf Mehrholtz war sie die Einzige, die in den Wald ging, denn niemand wusste so recht, wem der Wald gehörte, der Streit um die Eigentümerschaft hatte sich lang hingezogen und war bis heute nicht entschieden. Der Wald liegt inmitten von ordentlich bestellten Feldern, die alle ihre Besitzer haben, doch er selbst ist herrenlos, nur ein Pfad führt zu ihm, und der beginnt am Haus von Grażynka und Hans Kalthöffer.
In Mehrholtz fährt man mit dem Auto zum Supermarkt, wie es sich gehört, und zu Fuß geht man höchstens in die Kirche oder zum Bäcker. Wenn man schon spazieren geht, dann feiertags im Park, oder im Einkaufszentrum, aber nicht im Wald. So etwas ist unstatthaft, und unstatthaft ist auch Grażynka Kalthöffer geborene Rozpuch selbst mit ihrer polnischen und höchst verdächtigen Herkunft. In Mehrholtz gibt es jede Menge Leute, die sie nicht reingelassen hätten, wenn sie etwas zu sagen hätten. Zu sagen haben sie nichts, aber zu reden haben sie viel, und reden tun sie, stets hoffend, das Gewicht ihrer versammelten Worte werde schwer auf dem Leben der Fremden lasten. Frau Korn späht hinter ihren Vorhängen hervor und erzählt hinterher allen, die sich für das Leben der Frau von ihrem Hans interessieren – und das sind viele –, dass diese Polin wie eine Verrückte über den Hof fegt und dass sie doch tatsächlich in den Wald schweift, dass sie einfach dreist im Wald herumschweift, man wüsste doch gerne, was sie wohl im Wald zu schweifen hat? Frau Zorn, die im Nachbarhaus ihren Beobachtungsposten bezieht, weiß die Antwort auf diese Frage, sie hat auf alles eine Antwort parat, bestimmt macht sie da ihre Ausschweifungen! Jawohl, Ausschweifungen macht sie, und zwar wie!, stimmt Frau Korn zu. Nachdem diese Tatsache jetzt festgestellt worden ist, können Frau Korn und Frau Zorn ihre Phantasie auf den Spuren von Grażynka schweifen lassen, die dort im Wald Ausschweifendes macht, im Stehen, an Bäumen, im Gras liegend, wild und tierisch und auf werweißwas für ausländische Methoden, diese Schlampe, ja, das ist sie. Das können sie Hans’ polnischer Frau nicht nachsehen. Hat sie im Haus etwa nicht genug zu tun? Im Haus gibt es Arbeit, wer weiß, was es im Wald gibt, im herrenlosen. Und alle naselang kommt Grażynka mit einem Streuner nach Hause, wie sie selbst einer ist – mit einer Katze, einem Hund, einer Negerin. Eine Negerin, schwarz wie der Teufel, pflegen Frau Zorn und Frau Korn immer abwechselnd mit Wohlgefallen zu sagen. Eine schwarze Frau hat sie aus dem Wald mitgebracht, eine Schwarze mit gelben Haaren, das ist doch nicht normal; normale Sachen kann man hier in Mehrholtz auf Anhieb von unnormalen unterscheiden, und das ist gut so. Ach, seufzt erst Frau Korn und dann Frau Zorn, ach, wenn Hans doch eine hiesige Frau genommen hätte, dann wäre es sauber und ordentlich bei ihm, es würde gekocht, wie es sich gehört, nahrhaft und sparsam, aber so – nicht genug damit, dass er fremde Bankerte ernährt und kleidet, obendrein ist sie noch so eine Herumtreiberin, die im Wald schweift, anstatt sich mal ruhig auf den Hintern zu setzen. Und haben Sie letztens gesehen, wie sie herumläuft, liebe Frau Korn?, fragt Frau Zorn. Ja, das hab ich gesehen, liebe Frau Zorn, sagt Frau Korn, wer weiß, wen sie als Nächsten anschleppt? Frau Korn und Frau Zorn hoffen, dass sie das als Erste wissen werden, wenn sie wachsam auf ihrem Posten hinter den Gardinen bleiben. Sie sind sich einig, dass man bei Grażynka, der Frau von ihrem Hans, auf alles gefasst sein muss; ihre Augen sind wild, anders als die der Hiesigen, die langen Haare hat sie gefärbt. Frau Korn und Frau Zorn sind der Meinung, ab einem bestimmten
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