Wolkenfern (German Edition)
gab, mit jemandem, aus dem Schläuche staken und dessen ganzer Kopf in einem Verband steckte? Deshalb fing sie immer wieder an, brach mitten im Satz ab, bettelte: wach doch auf, mein Töchterchen!, beschwor: wach auf, ich werde auf den Knien nach Jasna Góra rutschen, um der Muttergottes zu danken!, und fluchte: Steh auf, verdammt noch mal, ich schnapp hier noch über, musst du denn immer Fisimatenten machen? Wie viel kann man denn schlafen? Schläfst du, um mich zu ärgern? Um die eigene Mutter zu ärgern! Heilige Muttergottes! Jadzia fand keine Worte, um in diese Schlafstille zu sprechen, in dieses Nichthören. Bis Grażynka ihr den Rat gab: Red so, als würdest du einen Brief schreiben. Stell dir vor, Dominika ist irgendwo weit weg, vielleicht im Ferienlager oder an der Uni in Warschau, im Ausland, irgendwo, und du sitzt ruhig am Tisch und schreibst ihr einen Brief. In deiner Küche auf Piaskowa Góra sitzt du und schreibst, was du getan hast und was ungetan geblieben ist, was du in Erinnerung behalten willst und was du vergessen hast, von guten Dingen und von den schlechten, die sich noch nicht zum Guten gewendet haben. Und wenn dir die Worte ausgehen, wenn nur noch Krümelchen bleiben, dann knete daraus was, und wenn es sich zum Reden nicht eignet, dann sing einfach, Jadzia, sing.
Und plötzlich wusste Jadzia, wie sie anfangen sollte, sie seufzte tief und sagte: Kind, mein Kind, so fängt sie an, und sie kann nicht stillsitzen und auch nicht aufhören zu reden, als könnten ihre Worte und Wanderungen um das Bett ein Gegengewicht zur Reglosigkeit ihrer Tochter und zur Stille bilden. Jadzia erzählt, was sie getan hat und was ungetan geblieben ist, was sie in Erinnerung behalten hat und was vergessen werden soll, von guten Dingen und von den Schlechten, die sich noch nicht zum Guten gewendet haben. Sie redet vom Steigen der Preise und des Luftdrucks, vom fallenden Regen und vom Luftdruck, der fällt, von Krampfadern und Hoffnungen auf die Zukunft, die wunderbar wäre, wenn sie zum Beispiel im Lotto gewinnen würde. Dann würden sie sich Sachen kaufen! Dann könnten sie in Szczawno Zdrój was bauen, wo sich die Wałbrzycher Bourgeoisen ihre Palästchen hinstellten, vier Zimmer und ganz allein für uns, meine Tochter, mit Garten und mit Terrasse. Und im Sommer nach Sopot, für den ganzen Juli, um Jod zu tanken. Jadzia redet vom Geist ihres Mannes Stefan, der manchmal auf den Babel zu Besuch kommt und in seinem Nest vor dem Fernseher sitzt; er kommt immer nur dann, wenn sie allein ist, und außer Dominika und dem Pfarrer bei der Beichte hat sie noch keinem davon erzählt. Sie gucken sich zusammen die Ziehung der Lottozahlen an und gewinnen wieder nichts, denn wer bei Lebzeiten den Wind im Gesicht gehabt hat, dem geht es im Jenseits auch nicht besser. Danach kommt meistens ein Naturprogramm, das könnte Jadzia sich allein nie angucken, aber mit Stefan doch, natürlich. Einmal hat Jadzia solche Angst gekriegt, als sie eine Sendung über Warane auf Komodo gesehen haben, dass sie nicht einschlafen konnte. Kind, ich sag dir, ich hab vielleicht Angst gehabt! Heilige Muttergottes, diese Warane! Und dann erzählt Jadzia Chmura ihrer schlafenden Tochter von den Waranen, die groß sind wie Drachen, ganz widerwärtige Schnauzen haben, sie leben auf exotischen Inseln und sind ganz und gar vorsintflutlich. Vorsintflutlich, stell dir das mal vor. Die Worte, die ihr gefallen und die sie noch nie hat ausprobieren können, lässt Jadzia sich auf der Zunge zergehen, als koste sie frisches Tatar: Warane auf Komodo, Töchterchen, vorsintflutlich. Sie fressen nur Fleisch, wie dein Papa seligen Angedenkens, obwohl er ja auch Kartoffeln dazu gegessen hat. Nur Kartoffeln, Dziunia, immer wollte er noch mehr Kartoffeln. Und was die für Schnauzen haben, heilige Muttergottes, mein Mädelchen, die haben vielleicht Schnauzen, diese Warane! Angeblich sollen die furchtbar aus dem Maul stinken, diese vorsintflutlichen Warane von Komodo. Und sie spucken und rotzen herum wie Józek Sztygar, wenn er sich unten am Babel Haarwasser hinter die Binde gekippt hat. Kind, so ein Waran, der macht nur happs-klapps mit dem Maul, und schon hat er einen ganzen Körper verschlungen, ein ganzes Schwein oder einen Dorfneger von den Komodoinseln. Denn die sind dort schwarz wie deine Krankenschwester, mein Mädchen, wenn du die nur sehen könntest! Heilige Muttergottes! Negerlein Bimbo lebt in Afrika, pechschwarz ist er an Haut und Haar.
Mädelchen, wenn du die
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