Wolkenfern (German Edition)
der Venus von Milo, die, wenn man Hans fragte, Grażynka in Sachen Schönheit nicht das Wasser reichen konnte. Er kaufte auch wunderschöne Lampen, die dreifarbig im Rhythmus der Musik aus der Stereoanlage blinkten, die nannte Grażynka Phonoleuchten, denn das hatte man in Wałbrzych dazu gesagt und jeden beneidet, der Phonoleuchten aus der BeErDe besaß, also her damit, in jedem Zimmer Phonoleuchten, denn in jedem Zimmer stand eine Stereoanlage. Grażynka liebte Musik so sehr, oft konnte sie sich nicht entscheiden, womit sie den Tag beginnen sollte, deshalb lief in jedem Zimmer etwas anderes, und sie tanzte mit ihrem bunten Staubwedel in jedem Zimmer anders und wirbelte dabei die Staubkörnchen durch die Luft. Grażynkas Liebe zu Hans wurde durch die Geschenke allerdings weder größer noch kleiner, und mit der Zeit begriff ihr spendabler Mann zu seiner immerwährenden Verblüffung, dass diese Frau, die seinen Körper und Musik begehrte, keine Dinge brauchte, um glücklich zu sein, denn ihr fehlte nichts zu ihrem Glück. Grażynka probierte den Küchenmixer und den Gemüsehobel aus, um ihrem Mann eine Freude zu machen, aber danach schob sie sie in irgendeine Ecke ihrer großen Küche, wo der Staub sie allmählich überzog, während Grażynka mit den Händen Teig knetete und Kartoffeln rieb, und wenn sie mit ihren vaterlosen Töchtern und Hans’ Sohn Plätzchen buk, waren Wände, Decke und Boden mit einer Schicht Zucker, Zimt und Kakao überzogen. Hans saß in der Ecke mit der Teigschüssel, die er auslecken durfte, er betrachtete die Mädchen, die weder ihrer Mutter noch einander glichen, und seinen Sohn, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, und er dachte bei sich – das ist das Glück: eine tanzwütige Frau, wohlgenährte Kinder und eine Schüssel mit süßen Teigschnörkeln. Wenn er später am Abend in dem von ihm persönlich ausgesuchten Himmelbett mit Grażynka schlief und ihr zuflüsterte: Graschynka, ich liebe dich, spürte er unter der Zunge die Süße der Plätzchen, Kokosraspel, Orangeat und Rosinen.
Von allen Geschenken am besten gefiel Grażynka der Walkman, denn damit hatte sie immer Musik bei sich, egal ob sie arbeitete oder zum Bäcker ging. Sie konnte auf alles tanzen, und wenn sie mit Hans im Supermarkt war, kaufte sie Kassetten mit Abba und argentinischem Tango, mit deutschen Schlagern und amerikanischem Pop, mit Rock und Opernhits, in denen ihr Körper einen Rhythmus fand, den keiner der drei Tenöre je vernommen hatte, ihre Schultern kreisten, ihre Brüste schaukelten, und ihre Hüften wackelten selbst zu so wenig tanzbaren Stücken wie Penelopes Arie aus der Rückkehr des Odysseus in sein Vaterland . Tanz für mich, bat Hans sie, und Grażynka tanzte, und obwohl sie so schön tanzte, mit geschlossenen Augen und rosigen Lippen, in Leggings mit Leopardenmuster und gepunktetem Kleid, überkam ihren Mann eine Wehmut, als hätte er sie schon verloren, denn er wusste, sie würde genauso tanzen, genauso schön und glücklich sein, wenn er nicht da wäre, ja, wenn es ihn überhaupt nicht gäbe.
Als Grażynkas Töchter klein waren, folgten sie ihr auf Schritt und Tritt, die Augen immer auf diesen Körper geheftet, der ihnen riesig und in seiner Lebensfülle so schön erschien, ein Körper wie ein Karussell, das immer schneller und schneller wirbelte, bis man ganz außer Atem war, aber nicht aufhören konnte, sich im Kreis zu drehen, nach Luft schnappend im Dunst des mütterlichen Schweißes. Kommt, tanzen wir! rief sie ihnen zu, und egal, ob in einem reichen oder einem armen Haus, sie fingen an zu hüpfen, im Kreis zu wirbeln, mit den Hacken zu klackern, bis sie nicht mehr konnten und unter Schluckauf und Lachkrämpfen aufs Bett oder eine Matratze fielen, die ihnen gerade als Schlafplatz diente. Grażynka hatte ihre Vermutungen, wer der Vater ihrer ältesten Tochter war, der der großen schlanken Róża, deren Gesicht sie immer an etwas erinnerte, an irgendein Ereignis in einer Kleinstadt namens Radomsko, aber vielleicht war es auch in Piotrków Trybunalski, aber sicher nicht in Tschenstochau. Sie bat das Kind sogar manchmal, sich mit dem Profil gegen das Licht zu stellen oder den Kopf zur Seite zu neigen, und starrte ihm in das süße, aber unausgeprägte Gesicht. Als die Kleine im Alter von sieben Jahren anfing, mit Schminke zu experimentieren und dabei das Blau ihrer Augen und das Rot ihres Mundes stärker hervortraten, brachte sie die Mutter damit auf eine Spur. Was die jüngere anging,
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