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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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siehst! Schon allein deshalb lohnt es sich aufzuwachen. So viele merkwürdige Dinge gibt es auf der Welt, Warane, Töchter, die schon seit Wochen schlafen, schwarze Krankenschwestern … Jadzia Chmura wird es ganz schwindlig. Diese schwarze Spleenige hat einen Hintern, der ist dreimal so groß wie Jadzias, die Tochter, die ihre eigene Mutter Dickerchen genannt hat, die wird noch mit eigenen Augen sehen, wie ein Dickerchen aussieht. Mädelchen! Die Mutter schiebt ihr Gesicht ganz nah ans Ohr der schlafenden Dominika und versucht mit einem durchdringenden Flüstern in diesen Schlaf vorzustoßen: Mädchen, die hat einen Arsch wie ein dreitüriger Kleiderschrank, sie blitzt mit den Augen, dass es zum Fürchten ist, obwohl sie allem Anschein nach ein ganz anständiges Mädchen ist.
    Und wenn ihr wirklich nichts mehr einfällt, was sie sagen könnte, dann fängt Jadzia an von der Zigeunerin zu singen, die vor dem Fenster stand, blutüberströmt war sie, denn das hatte ihre Mutter Zofia ihr vorgesungen – bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ihr der Sinn nach Singen stand. Noch in Zalesie hatte Jadzia die letzten Zigeunerlager gesehen, hinter den wilden Himbeerhecken hatte sie die glänzenden Pferdebäuche und die langen Röcke der Frauen erspäht, die heute hier, morgen ganz woanders sein konnten und bis heute vielleicht ohne eine Küche voll Bunzlauer Zierkeramik auskamen und ohne hochglanzpoliertes PVC . Diese unmögliche Möglichkeit erfüllte Jadzia mit einem befremdenden Wehmutsgefühl. Die Augen, sie sprachen zu mir, die Stunde der Trennung ist hier, sang Jadzia, damit ging ich in die Nacht so düster und schwer. Weine nicht, Mutter, du sollst dich nicht grämen, mein Schmerz wird nicht heilen von deinen Tränen … Mein Liebster, er hat mir das Herz gestohlen, leben will ich nimmer, so tief betrogen.
    Ein paar dieser Worte dringen durch. Dominika sieht sie von unten, wie die Unterseite von Laub auf einer Eisschicht. Sie sind fein und symmetrisch geädert wie Glasfenster, ihre Form sagt, dass es ein Vorher und Nachher gibt, einen Geruch. Eins, zählt sie. Etwas kommt in Bewegung, und Dominika hat das Gefühl, als rutsche sie durch einen Tunnel, der so eng ist, dass ihr der Atem ausbleibt, gleich erstickt sie, sie schreit aus Leibeskräften, aber kein Laut kommt heraus. Dann schmerzt die Stelle, wo ihr Schädel wieder zusammenwächst, so sehr, als sei ihr Kopf wieder geborsten und das von einer Membran geschützte Innere des Kopfes und die blanken Knochen lägen offen. Dominika sieht wirbelnde Kreise von Weiß, die glühen wie Eisen, und sie kehrt dahin zurück, wo es weder Zahlen noch Worte gibt. Das Hirn ist etwas sehr Empfindliches, erklären die Ärzte der verzweifelten Jadzia, es ist wie Pudding in einer Schale, ein leichtes Schütteln reicht, und schon ist ein Unglück geschehen, und Ihrer Tochter war ja sogar der Schädel geborsten. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat. Wir müssen warten, sagen sie immer wieder. Die Ärzte sehen eine Störung in der Hirntätigkeit von Dominika Chmura, achtzehn Jahre, eine kleinere Fehlleistung, deren Bedeutung sich aufklären wird, wenn das Mädchen aufwacht. Eins, denkt Dominika, aber eins ist wie ein scharfes Stück Metall, das in das schmerzende Fleisch eindringt und die Welt nicht in Gang bringen kann, die vor zwei Monaten stehengeblieben ist. Nach jedem Versuch, die harte, glänzende Oberfläche zu durchstoßen, sinkt sie wieder dahin hinab, wohin nur verwaschene, halbdurchsichtige weiße Schatten dringen.
    Je mehr Dominika schweigt, desto mehr redet Jadzia, je starrer Dominika ist, desto mehr Bewegung kommt in die Mutter, die wie ein fliederfarbener Kreisel durch das Krankenzimmer flitzt. Jeden Morgen bringt Grażynka sie hierher, jeden Abend ist Jadzia nur mit Mühe wegzuholen, wenn sie vom Reden zwar erschöpft ist, aber immer noch unverdrossen summt. Vor meinem Fenster stand die Zigeunerin, blutüberströmt war sie, die Augen, sie sprachen zu mir, die Stunde der Trennung ist hier. Jadzia nimmt nichts von der Strecke zum Haus der Kalthöffers wahr und wird sich nie bewusst, dass sie fast zwei Monate in der BeErDe verbracht hat, von der sie einst beim Betrachten der Otto-Kataloge geträumt hat. Der ganze Aufenthalt vergeht am Bett ihrer Tochter, und sie wird ihn im Vergessen vergraben und immer behaupten, sie habe nichts vom Leben gehabt, denn sie sei nie weiter von Piaskowa Góra weg gewesen als in Świnoujście oder in Karpacz. Und als sie einmal nach

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