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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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es sich damit, dass der Tod von Destinee Sara so betrübte, und brühte ihr abends zur Beruhigung einen Kamillentee auf. Saras Frisur war für La-Teesha schwieriger zu verkraften, denn im Unterschied zu ihren Freundinnen wollte Sara nicht ihren Afro-Schopf bändigen und sah in Bed-Stuy aus wie ein Sonderling. Außerdem schien sie oft zu tagträumen, und immer wieder seufzte sie: Ach, Oma, wenn ich nur irgendwohin verreisen könnte, weit weg von hier! La-Teesha antwortete dann mit zorniger Stimme: Baby, dein Platz ist in Bed-Stuy und gib bloß keinem die Schuld daran. Du bist hier, wo du bist, weil das dein Platz ist, Baby. Wir gehen zusammen in Janets Salon, sie wird dich frisieren, wie es sich gehört, es gibt überhaupt keinen Grund, mehr aufzufallen als nötig hier in Bed–Stuy, ooh, Bed-Stuy, seufzte sie und richtete drohend den Finger auf ihre Enkelin, aber Sara spürte zum ersten Mal in ihrem Leben ein wirkliches tiefes Verlangen, und zwar nach der größtmöglichen Ähnlichkeit mit der schwarzen Venus von der Illustration, die Urgroßmutter Destinee hinterlassen hatte. Krauses Haar und schwarze Haut waren in Bed-Stuy Grund für Stolz und Verdruss, je nach äußeren Umständen und innerer Veranlagung. Sobald eine der beiden Komponenten die Oberhand gewann, gab es Schwierigkeiten, und deshalb rang La-Teesha die Hände. In den Friseur- und Kosmetiksalons von Bed-Stuy, wie zum Beispiel im Schönheitssalon Janet, den eine Freundin von La-Teesha führte, bot man seit langer Zeit schon Behandlungen zur Aufhellung der Haut und zur Glättung des Haars an, denn niemand wollte sie noch krauser, als sie schon waren. Die Mädchen in Saras Alter sehnten den Schulabschluss herbei, weil sie dann zum Friseur gehen konnten, um sich der schmerzhaften und oft auch gefährlichen Behandlung zu unterziehen, die in Bed-Stuy eine Art Durchgangsritual war. In Bed-Stuy war eine Flüssigkeit zur Haarglättung in Umlauf, die Löcher in die Möbelpolitur ätzte und die Fingernägel zerfraß, und wenn eine Frau sie aller Warnungen zum Trotz ein paar Augenblick länger als angeraten auf dem Kopf behielt, dann wurden ihre Haare zäh wie Gummi und fielen büschelweise aus, und ihre Kopfhaut brannte und schuppte sich noch einen Monat lang.
    Seit Destinee gestorben war und sie sich ihre Frisur nach dem Vorbild der schwarzen Venus gestaltet hatte, fühlte sich Sara in Bed-Stuy zunehmend isoliert. In der Schule langweilte sie sich und schaute während des Unterrichts gedankenverloren zum Fenster hinaus, doch sie hatte gute Noten, und das Lernen fiel ihr leicht. Sie erntete dafür allerdings keine Sympathien bei ihren Klassenkameradinnen, die ihre Fähigkeit, die Namen der Hauptstädte fremder Länder und der Nebenflüsse ferner Ströme mühelos auswendig zu lernen, für Überheblichkeit hielten. Jeden Tag, außer am Sonntag, fuhr La-Teesha um fünf Uhr zwanzig mit der Untergrundbahn nach Manhattan, wo sie die Büros zwischen dem siebenundsiebzigsten und dreiundachtzigsten Stockwerk des Empire State Building putzte. Sie richtete ihrer Enkelin das Schulfrühstück, bevor sie zur Arbeit ging, und wickelte es in graues Papier. Nach der Schule kam Sara in die immer noch leere Wohnung im untersten Stockwerk eines der braunen Ziegelreihenhäuser. Dort lebte sie mit der Großmutter, die gelegentlichen Zufallsmieterinnen und den Großvater nicht mitgerechnet, der ab und zu auftauchte und wieder verschwand. Wenn sie keinen Pfennig Geld mehr hatten, vermieteten sie das kleine, feuchte Schlafzimmer an Frauen, die von Gottweißwoher nach Bed-Stuy gekommen waren und verschiedenste Varianten des Englischen sprachen, doch Sara nannte jede von ihnen Tante und freute sich, wenn sie da waren. Immer hatten die Frauen interessante und komplizierte Gründe, weshalb sie mit einem einzigen Koffer oder ganz ohne Gepäck nach Brooklyn gekommen waren, und immer waren es Frauen, denn von Männern, egal welcher Rasse, hatte La-Teesha stets nur die schlechteste Meinung. Diese Tölpel, Krachmacher, Hurensöhne, Schmarotzer, die immer Essen und Applaus verlangten.
    La-Teesha war Großmutter geworden, als sie gerade mal Mitte dreißig war. Sie und auch ihre Nachbarn fanden das ebenso wenig außergewöhnlich wie die Tatsache, dass die Männer, die die Urheber der frühen Mutterschaft waren, nur sporadisch in dem Haus an der Nostrand Avenue aufkreuzten und dass bei diesen Besuchen in der Regel nichts weiter herauskam als eine weitere Schwangerschaft oder ein Streit, bei dem alle

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