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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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Leben zu erhalten, wurde Destinee zu einem völlig anderen Menschen, wenn sie anfing, von der schwarzen Venus aus Paris zu erzählen, die mit ihrem Theater durch ganz Europa gereist war. Während die Greisin erzählte, streckten sich ihre Arme wieder grade, und ihre katzengelben Augen leuchteten heller als die Glühbirne über dem Tisch. Wenn Sara Destinee anschaute, bekam sie Angst, die alte Frau würde diese Energie nicht aushalten, die ihren winzigen Körper verzehrte, und sie würde in der Glut der Erzählung vor ihren Augen verbrennen. Reisen durch Europa, samtene Handschuhe, kristallene Kronleuchter – diese Worte sanken wie Samenkörner in Sara ein, und bald sollte daraus ein Wald emporsprießen, der dicht war wie der Dschungel Amazoniens. Kronleuchter! In Venus’ Pariser Wohnung waren kristallene Kronleuchter, erzählte Destinee, sie waren riesig und sahen aus wie Springbrunnen, die sich sprudelnd von der Decke ergießen, und als die schwarze Venus so ausgelassen tanzte, dass auf dem Fußboden nicht genug Platz war, sprang sie – hoppla! – in die Höhe, und mit den Händen in ihren seidenen, brokatenen, lammledernen oder mit Straußenfedern verzierten Handschuhen ergriff sie einen Kronleuchter und schwang sich daran hin und her, von einer Wand zur anderen, der Kronleuchter löste sich von der Decke und flog über den Köpfen der Zuschauer, über Dächer und Meere davon, und von unten sah man nur ihre kleinen Füße und ihre Spitzenunterhosen. Diamantstaub blieb von ihr auf dem Boden zurück, und die versammelten Gäste des Balls, lauter Prinzen, Prinzesssinnen und Napoleone, rieben ihn zwischen den Fingern, ein Wunder! Ein Wunder!, flüsterten sie einander zu, unmöglich!, raunten sie und schauten sich in der Runde um, ungläubig, dass sie Zeugen von etwas so Außergewöhnlichem hatten werden können. Und Venus flog wie ein Komet mit Feuerschweif, wie ein schwarzer Schneesturm, wie eine Windhose, wie ein Schwan, und wer in dieser Nacht zum Himmel schaute und sie sah, der hat den Anblick nie vergessen. Wohin ist sie geflogen? Ja wohin wohl! Uroma Destinee schüttelte den Kopf vor Mitleid, dass Sara sich nicht selbst die Antwort auf diese einfache Frage geben konnte. Die schwarze Venus flog an ihrem Kronleuchter geradewegs nach Afrika. Weit, weit weg in den Süden, den Süden von Paris, den Süden von London, den Süden von New York, in den Süden von überhaupt allem, dorthin, wo das Wasser azurblau ist wie der Himmel und der Himmel noch azurblauer als das Wasser und der Sand, der Sand an dem Strand, auf dem Venus, immer noch an ihrem französischen Kronleuchter hängend, landet, ist so weiß, dass man kaum glauben kann, dass etwas aus so einem makellosen Weiß sein kann. Dort, sagte Destinee, dort war das wahre Heimatland der schwarzen Venus, dort waren ihren Tanten und Onkel, ihre Cousinen und Cousins, ihre Mutter und ihr Vater und ihre Geschwister, achtzehn an der Zahl, und kaum hatten sie sie erblickt, veranstalteten sie schon ein so großes Fest am Strand, wie es noch nie eins gegeben hatte. Berge von Früchten, wie sie in Bed-Stuy noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte, echte Früchte, direkt vom Baum und sonnengetränkt, und dazu riesige Kessel voll mit gebratenen Hühnchen, Ochsenzungen und gerösteten Süßkartoffeln mit Vanille und Zimt, die so dufteten, dass die hungrigen Leute am anderen Ende von Afrika davon aufwachten, sich die Augen rieben, schnupperten und mit den Lippen schnalzten. Die schwarze Venus aß, trank, erzählte von ihrem Leben in Paris und ließ die anderen ihre Handschuhe anprobieren, aber keine Frau hatte so zarte Hände, dass sie passten. Hab ich schon gesagt, was für Handschuhe sie hatte?, fragte Destinee. Sara schaute sie nur mit ihren riesigen gelben Augen an und wünschte sich, dass die Uroma noch einmal von den Handschuhen erzählte, die mit jeder Erzählung schöner wurden und sich in Lebewesen mit fünf Scheinbeinchen verwandelten. Diese Handschuhe! Aus himmelfarbener Atlasseide, mit Knöpfchen, mit Pfauenfedern, die die Handgelenke der schwarzen Venus so kitzelten, dass sie dauernd kicherte. Mit Kriställchen, Röslein, kleinen Zuckerperlchen, die sich abknabbern ließen! Wenn Destinee besonders guter Laune war, machte sie vor, wie die schwarze Venus getanzt hatte, sie stampfte in wildem Rhythmus, den ihre Seele noch von irgendwo in Erinnerung behalten hatte, und die Kinder schlugen ihn mit Händen und Füßen dazu, immer heftiger und heftiger, um zu sehen,

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