Wolkenfern (German Edition)
üppiges weiches O, darin steckt eine Zigarette, es kann auch eine Zigarre oder Pfeife sein, das ist nicht klar, gewiss ist nur der Rauch, der in einer grauen Spirale bis zum ausgefransten Rand der Karte steigt. Die Frau hat ganz kurzes Haar, dicht bedecken sie ihren mit einem Band geschmückten Schädel, und ein Büschel Glasperlenstränge schießt wie ein Springbrunnen auf der Mitte ihres Kopfes empor. Das Auffallendste an dieser Frau jedoch, das, was am stärksten in die Augen sticht, sind die gewaltigen Hinterbacken, die unter ihren schmalen Schultern und ihrer schlanken Taille wie rundliche fleischige Schöße hervorstechen. Auf diesen Gesäßbacken sitzt ein kleiner Amor, dessen helles Wangenrot kein bisschen verblasst ist, obwohl seine Augen und Hände kaum erkennbar sind, und er zielt mit Pfeil und Bogen geradewegs auf den Betrachter. Über dem Kopf des Amor erhebt sich ein Rauchwölkchen mit der Inschrift: Take care of you, und wir wissen nicht, was der kleine, auf dem ausladenden Hintern der halbnackten Schwarzen thronende Schlingel der besonderen Sorge des Betrachters empfiehlt, denn daneben dehnt sich ein bräunlicher Flecken aus, wie von einem Kaffee- oder Blutstropfen. Am unteren Rand des Bilds hat sich eine Inschrift erhalten, die undeutlich ist, sich aber noch entziffern lässt: Love and Beauty. Sartjee the Hottentot Wenus. Es ist die Venus aus der Geschichte von Uroma Destinee, die Schauspielerin aus Paris! Die kleine Sara starrte auf das Abbild der Frau und begriff, dass die Uroma nicht gelogen hatte, die schwarze Venus existierte wirklich, auch wenn sie etwas anders aussah als in der Geschichte von Destinee. Es war die schwarze Venus selbst, jene Sammlerin von Handschuhen, die auf einem kristallenen Kronleuchter fliegende Geliebte des Königs Napoleon, die Sara aus dem in der Bibel der Urgroßmutter aufbewahrten Bildchen anschaute.
Sara, ein junges Mädchen, das sich anschickte, zur Frau zu werden, war von diesem Bild verzaubert und wurde sich zum ersten Mal ihres Aussehens bewusst. Als sie sich im Badezimmer im Spiegel betrachtete, sah sie eine schwarze Venus, auf deren Gesäßbacken bereits ein ganz ansehnlicher Amor Platz gefunden hätte. Von da an ließ sie nicht mehr zu, dass ihre Oma La-Teesha ihr Haar in acht mit bunten Kugeln verzierte Hörnchen flocht, stattdessen schnitt sie sich die Haare mit dem Rasierapparat ihres Großvaters so kurz, dass sie aussah wie die Frau auf dem Bild. Vor dem Einschlafen lauschte sie auf die Stimmen, die von der Straße hereindrangen, und dachte an ferne Länder, seidene Handschuhe, kristallene Kronleuchter, Töpfe voll mit gebackenen Süßkartoffeln an einem Strand, dessen Sand so strahlend weiß war, dass man bei seinem Anblick unwillkürlich blinzeln musste. Manchmal träumte sie von der schwarzen Venus, die Sara mit Augen wie Zitronendrops anschaute, in einer fremden, aus Schnalzen und Händeklatschen bestehenden Sprache leise vor sich hin sang und außerordentlich schön aussah. Im Schlaf wiederholte Sara die geheimnisvollen Wörter, und an manche konnte sie sich nach dem Aufwachen auch erinnern, doch Oma La-Teesha konnte ihr nicht sagen, was sie bedeuteten, und ließ sie für alle Fälle ein Aspirin schlucken. Oft waren Saras Träume schön, und sie hatte das Gefühl, als fliege sie auf dem kristallenen Kronleuchter, von dem ihre Urgroßmutter erzählt hatte; nach dem Aufwachen zögerte sie dann, die Augen aufzuschlagen, damit dieses Wunder des Schaukelns hoch über den Köpfen und Dächern noch eine Weile anhielt. Aber es kam auch vor, dass die Träume schrecklich waren, dann hatte Sara das Gefühl, die Venus sei in einem Käfig gefangen, sie hörte ihren Zorn und ihre Empörung, sie hörte Stimmen, Schreie und Pfiffe, und kurz darauf stellte sie fest, dass sie selbst, nackt und gefesselt, von einer gaffenden Menge umringt war. Die Gesichter der Gaffer waren bläulich rosa wie rohes Hühnerfleisch, die Wangen hochrot vor Erregung, die Zungen schnellten aus den Mündern, um über die Lippen zu fahren, die sich zum Schrei spitzten: Monster! Ungeheuer! Schwarze Hure!
Sehe ich wie eine schwarze Hure aus?, fragte Sara am Morgen ihre Oma La-Teesha. Zur Antwort bekam sie zuerst eine Ohrfeige und dann einen Löffel Lebertran mit Himbeergeschmack, den sie bei American Values kauften, dem Laden von Icek Kac. La-Teesha sah, dass sich mit ihrer Enkelin, die sie von klein auf erzogen hatte, etwas Seltsames tat, und sie hörte sie im Schlaf stöhnen. Sie erklärte
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