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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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total verunsichert und auch genervt. Aber ich hatte mittlerweile das unbestimmte Gefühl, dass mir kein Mädchen das geben konnte, was ich brauchte. Und mir dämmerte langsam, was das bedeutete.
    Na ja, ich hatte mir jedenfalls vorgenommen, mich von nun an einhundertprozentig auf mein Studium zu konzentrieren und mich nicht mehr auf irgendwelche Mädchengeschichten einzulassen. In diesem Semester begann ich ein neues Themengebiet, und um meine sporadische Freizeit sinnvoll auszufüllen, meldete ich mich in der Volleyballmannschaft an.
    Was jetzt kommt, ist ja klar: der neue Dozent war Falk, ebenso der Trainer der Volleyballmannschaft. Das erste, was ich von ihm wahrnahm, war seine Stimme. Ich saß im Hörsaal ziemlich weit hinten und konnte ihn schlecht sehen. Aber aufgrund des Mikrofons sehr gut hören. Eine warme, lebhafte Stimme, nicht zu tief, aber sehr ausdrucksstark. Ich mochte diese Stimme auf Anhieb. Im Sportzentrum der Uni hörte ich sie dann wieder und sah endlich auch, wer dazu gehörte. Ein recht großer Mann, um die vierzig, trainierter, aber nicht muskelbepackter Körper, blaue Augen.
    Die Augen waren es, die mich sofort fesselten. Während der Arbeit funkelten und tanzten sie, sprühten vor Leben und Begeisterung. Er schien immer ganz in dem aufzugehen, was er gerade tat, mit Herz und Seele dabei zu sein.
    Aber sobald er sich von seiner Rolle als Dozent oder Trainer löste, wurden die Augen traurig, wehmütig, manchmal regelrecht müde. Sie blickten dann in eine Ferne, die niemand erreichte, sahen Dinge, die für sonst niemanden zu existieren schienen.
    Der Mann faszinierte mich, und ich begann, ihn zu beobachten. Ich sah, wie er diese Maske auf- und abstreifte, manchmal im Minutentakt. Irgendwann waren mir seine Gestik und Mimik so vertraut, dass mir regelrecht etwas fehlte, wenn ich ihn einen Tag einmal nicht sah oder nicht wenigstens seine Stimme hörte. Mir wurde klar, dass ich mich wieder in eine Geschichte verrannte, die zu nichts Gutem führen würde, aber da war es bereits zu spät. Ich hatte mich in ihn verliebt, ohne zu wissen, dass mir so etwas passieren konnte.
     Ich begann, härter zu trainieren, damit die körperliche Erschöpfung mich von diesen seltsamen Gedanken ablenkte, die ich plötzlich hatte. Gedanken um ihn, mit ihm. Ich versuchte, in den Diskussionen mit ihm stets eine kontroverse Meinung zu vertreten, um ihn herauszufordern, mich mit ihm zu streiten und dann sauer auf ihn sein zu können. Ich ging ihm auf dem Campus aus dem Weg und traf trotzdem jeden Tag irgendwie mit ihm zusammen. Und jedes Mal raste mein Herz zum Zerspringen. Es machte mich fast verrückt!
    Dann passierte der Unfall. Ich knickte im Spiel böse um und verdrehte mir das Knie. Die nächsten Minuten waren furchtbar, und das nicht nur wegen der Schmerzen. Er leistete mir erste Hilfe, rieb das Knie ein und verband es. Nach einigen Minuten ließ der Schmerz nach. Aber dafür spürte ich etwas anderes! Etwas, das mich völlig aus dem Konzept brachte.
    Während er mein Bein betastete, kam er mir sehr nahe – viel zu nah. Ich dachte die ganze Zeit nur: ‚Oh Gott, nicht höher! Lass ihn nicht höher sehen.’ Du kannst dir denken, was passiert war. Ich hätte vor Scham im Boden versinken können. Aber er zog sich nur ganz selbstverständlich meinen Arm über die Schulter, umfasste meine Hüfte, hievte mich hoch und brachte mich hinkend in die Umkleidekabine. Das Training war beendet, und die anderen Jungs hatten sich schon verkrümelt. Ich saß allein mit ihm da, er half mir, mich anzuziehen, aber an die Sporthose wollte ich ihn partout nicht heranlassen. Ich bin dann in Shorts zu seinem Wagen gehumpelt. An dem Tag war es draußen verdammt kalt, aber mir war siedend heiß.
    Er fuhr mich zum Arzt und war auch sonst sehr fürsorglich. Nur manchmal fing ich einen seltsamen Blick von ihm auf. Schließlich fragte er mich, ob er mir noch etwas Gutes tun und mir zu Hause einen Imbiss spendieren könnte. Wir fuhren also zu ihm.
    Während er uns in der Küche etwas zurechtmachte, stand ich in seinem Wohnzimmer, mehr auf einem Bein, und betrachtete seine Bibliothek. Aber ich nahm gar nicht wahr, welche Bücher da standen, denn in meinem Kopf raste immer nur der eine Gedanke: ‚Er ist hier, du bist mit ihm allein, jetzt könntest du mit ihm reden, über alles, du könntest ihn fragen, könntest für dich Klarheit gewinnen....’ Aber ich brachte von mir aus kein Wort über die Lippen.
    Plötzlich stand er hinter mir, ganz

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