Wolkengaukler
einen Job auf einer Farm angenommen; keine Uni mehr, keine Studenten, keine Konfrontationen und keine Diskussionen mehr. Er sagte, es sei besser so und entspannender für ihn. Er habe mich damit nicht belasten und mich nicht mit hineinziehen wollen. Außerdem hätte es an der Uni schon Gerüchte über unsere Beziehung gegeben, und er habe mir mein Leben nicht kaputtmachen wollen. Aber zumindest hätte ich mit meiner Liebe zu ihm wieder Ordnung in das ganze Chaos in ihm und um ihn herum gebracht. Unsere Beziehung sei für ihn aufregend, inspirierend und – so schrieb er zumindest – unglaublich erfüllend gewesen. Gleichzeitig sei ich für ihn auch eine Art Ruhepol gewesen, an dem er zu Atem gekommen war, sich selbst gefunden und wieder neu orientiert hatte. Ich hätte ihm die Kraft zum Innehalten gegeben, zum Nachdenken darüber, was ihm wirklich wichtig war, was er sich für sein weiteres Leben vorstellen konnte und wollte. Und schließlich habe er durch mich überhaupt erst den Mut zum Absprung gefunden, die alten Ketten abzulegen, und etwas ganz Neues zu wagen.
Ich schrieb ihm noch einmal, dass wir doch wenigstens in Kontakt bleiben sollten und er jederzeit zu mir kommen könnte. Seitdem gingen vielleicht zwei, drei Briefe hin und her. Der letzte kam vor einem Monat mit dem Hinweis, dass er Weihnachten herkommen würde. Ich antwortete ihm daraufhin, dass ich Anfang August für sechs Monate nach Kanada gehe, ihn aber trotzdem sehr gerne und unbedingt wiedersehen möchte... und zwei Tage später kamst du... und jetzt sieht die Sache ganz anders aus... und ... ich weiß jetzt auch nicht mehr weiter.“
Die letzten Sätze hatten ziemlich verzweifelt geklungen. Nun verstummte Christoph. Noch immer lagen wir auf dem Rücken im warmen Sand, die Hände ineinander verschränkt, den Blick in den luftigblauen Himmel gerichtet.
Schließlich fügte Christoph hinzu: „Das ist die ganze Geschichte, im Groben natürlich. Die tiefergehenden Feinheiten wollte ich dir im Laufe dieses Sommers zeigen, aber ich schätze, daraus wird wohl jetzt nichts mehr. Es tut mir leid.“ Er seufzte noch einmal und legte seine freie Hand auf seine Stirn.
Über meinem Kopf tanzte ein Schmetterling.
Was Christoph mir da erzählt hatte, war ein ganz schöner Hammer. Unglaublich, dass ihm das alles passiert war. Unglaublich auch, dass er dennoch so viel Mut gefunden hatte, sich auf das riskante Manöver mit mir einzulassen. Die Gefahr, noch einmal verletzt und enttäuscht zu werden, war doch sehr hoch gewesen. Hatte ihn der Mut der Verzweiflung getrieben? Und woher hatte er gewusst, dass er bei mir nicht auf Granit beißen würde? Ich dachte an unsere erste Begegnung, den ersten Augenblick, als wir uns auf dem Bahnsteig die Hände gegeben hatten, an das Kribbeln, das mich in diesem Moment durchfahren hatte, an seinen Blick, der bis in mein tiefstes Inneres gedrungen war. Hatte er dieses Kribbeln auch gespürt?
War es vielleicht Bestimmung gewesen, dass wir zu einander gefunden hatten? Gehörten wir einfach zusammen, und jeder hatte nur einen kleinen Umweg zu dem anderen machen müssen?
Wieso war meine Mutter eigentlich auf die Idee gekommen, mich über die Ferien hierher zu schicken? War es Zufall gewesen, weil sie einfach auf die Schnelle keine andere Möglichkeit gesehen hatte? Oder war es Teil dieser rätselhaften Bestimmung?
Ein zweiter Schmetterling gaukelte in mein Blickfeld, farblich genau passend zu dem ersten. Mitten in der Luft fanden sich die beiden, flatterten umeinander herum und schließlich in jubilierenden Kreisen hinauf in die luftige Höhe, bis sie scheinbar zu einem einzigen bunten Punkt in dem unendlichen Blau verschmolzen.
Ich halte nicht viel von Schicksal. Aber in diesem Fall, an diesem Nachmittag wollte ich einfach glauben, dass es doch eine Art Bestimmung war, die uns beide an dieses Ufer in den Sand getrieben hatte wie zwei gestrandete Seerobben, nackt und warm und genau passend füreinander. Ich richtete mich auf; mein Ärger war schon längst verflogen.
Christoph nahm die Hand vom Gesicht und schaute mich fragend an. Er wagte kaum, Hoffnung in diesen Blick zu legen.
„Hör zu“, sagte ich ernst, und sein Gesicht wurde noch eine Spur blasser, „es tut mir sehr leid, was du mir da erzählt hast. Dass du so was durchgemacht hast, konnte ich nicht ahnen. Ich glaube dir, und ich vertraue dir, aber nur unter zwei Bedingungen:
Erstens: nie wieder solche Szenen wie die vorhin. Ehrlichkeit und klare Ansagen von
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