Wolkentaenzerin
wie Kate sie hinterlassen hatte, die Bücher waren eingepackt für die Fahrt nach Hause. Kate holte den ersten Stapel Tagebücher hinaus, dann den zweiten und den dritten. Sie breitete die Bücher vor sich aus und suchte nach irgendetwas, das sie übersehen haben mochte, doch sie waren ihr alle vertraut. Sie nahm jedes Buch einzeln in die Hand und schüttelte es leicht.
Ein Stück Papier fiel zwischen zwei Einbänden heraus. Es war ein zweimal gefalteter Brief an Elizabeths Tochter. Alles Gute zum dritten Geburtstag, Anna Danielle! Kate überflog die Seite, die für ein Babybuch bestimmt gewesen zu sein schien oder Teil einer Sammlung von Briefen war. Ich liebe deine Art, wie du in der Schlange an der Supermarktkasse alle ins Gespräch einspannst. Die Welt empfängt freundliche und selbstbewusste Menschen mit offenen Armen. Du kannst alles schaffen, was du dir vornimmst!
Das war die Elizabeth, die Kate gekannt hatte. Der Optimismus, die Beifallrufe. Kate faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn hinten ins letzte Notizbuch.
Der Boden der Truhe war mit dickem gestreiftem Papier ausgekleidet, jedoch an manchen Stellen aufgerissen. Einige Fetzen Papier lagen lose herum. Kate nahm eine herausgerissene Seite in die Hand, es war eine Liste für Weihnachtseinkäufe von 1998. Ein Post-it lag da, auf dem die Geschenke von einer Babyparty festgehalten waren. An der linken Seite der Truhe steckte ein Foto im Saum. Ein Mädchen, das ein Eis aß, mit langen Zöpfen, die ihr in Wellen über die Schultern fielen. Das Foto war durchgeschnitten worden, und nur ein schmaler Streifen einer roten Schulter daneben war noch zu sehen. Sie gehörte zu einer Person, die nur wenig größer war und deren lange blonde Haare sich über ein rotes T-Shirt ausbreiteten.
Elizabeth hatte das Bild von ihr vielleicht aus Wut und voller Schuldgefühle abgeschnitten. Vielleicht hatte sie es aber auch so ausgeschnitten, damit sie es besser auf der Leinwand platzieren konnte, während sie es malte. Sie würde nie erfahren, was Elizabeth dabei gedacht hatte.
Das Mädchen saß auf einer Bank vor einer roten Scheune und hatte die Augen halb geschlossen, entweder war es ein Ausdruck von Schläfrigkeit, oder sie war rundum zufrieden. Sie existiert nicht mehr, dachte Kate; sie war real und wurde geliebt, und nun ist sie fort, genau wie alle anderen in ihrer Familie. Sie hätte Tante sein können. Sie hätte eine Vertraute sein können. Stattdessen repräsentierte sie eine Leere, die keine Vergebung zuließ.
Kate verspürte das Bedürfnis, das Foto einzustecken, doch stand es ihr nicht zu. Sie steckte es wieder zurück. Dann überlegte sie, ob sie den Friedhof finden würde und unbemerkt mit einer Tüte Tulpenzwiebeln zwischen den Grabsteinen hindurchgehen konnte.
Sie wollte gerade die Truhe schließen, als ihr eine kleine Visitenkarte auf dem Boden auffiel. Sie zog sie heraus und drehte sie um. Aura Institut, stand in sandfarbenen Buchstaben darauf. Saguaro Way 1, Joshua Tree, 92 252 Kalifornien.
Die Homepage des Aura Instituts war schlicht, als wäre sie für Menschen entworfen worden, die zu viel Durcheinander störte. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein Wellnesshotel. Es gab Fotos von Menschen, die meditierten, Yoga machten, gemeinsam aßen. Eines zeigte eine Frau, die einen Stein bearbeitete, ein anderes eine Frau, die zeichnete. Kate klickte sich durch die Bilder der Galerie und hoffte, Gastkünstler, Seminartermine und Ähnliches zu entdecken. Der Workshop mit Jesús konnte immer noch der Wahrheit entsprechen.
In einem Kasten in der Mitte des Bildschirms wies ein Pfeil auf einen Videoclip hin. Besuchen Sie uns, stand in der Bildunterschrift. Kate klickte.
Der Film sah zunächst wie ein Interview aus. Eine Frau Mitte dreißig saß auf einem Sofa und hielt zwei kleine Kinder auf dem Schoß. Die Kamera zoomte ihr Gesicht nah heran, und man sah ihre leichten Fältchen um die Augen, während sie darüber sprach, wie viel Energie es sie kostete, sich um ihre Kinder zu kümmern. Als sie sich die Augen rieb, hüpften die Köpfe ihrer Kinder unter ihrem Kinn auf und ab, lebhaft und selbstvergessen. Dann zog sie sich die Haare vom Kopf.
Durch die Behandlungen, so sagte sie, sei sie erschöpft und hätte den Kampfgeist verloren, sei sie entmutigt angesichts der Zukunft gewesen, die sie niemals mit ihrer Familie teilen würde. Bis sie Aura kennenlernte.
Die Szene sprang abrupt vom buntbedruckten Sofa der Frau auf eine beeindruckende
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