Wolkentaenzerin
Ihre innere Kraft und Ihr Wohlbefinden, können Ihren Anruf aber leider zurzeit nicht entgegennehmen. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Wir werden Sie dann so schnell wie möglich zurückrufen, um mit Ihnen Ihre Reise zur Heilung anzutreten.«
Kate klappte abrupt ihr Telefon zu und steckte es in ihre Hosentasche. Es war noch nicht einmal neun Uhr und zu früh, als dass jemand Anrufe an der Westküste entgegennehmen würde. Obwohl die gebührenfreie Nummer nicht unbedingt in Joshua Tree ansässig sein musste. Es konnte überall klingeln: im verglasten Büro in einer Zentrale in Manhattan, in einem Einkaufszentrum in New Jersey, einem Call-Center in Bangalore. Michael selbst mochte vor einem Telefon mit Drehscheibe in einer Wohnwagensiedlung sitzen, Patiencen legen und seinen Kopf polieren. Er war vielleicht nur ein Gelegenheitsschauspieler, der in den freien Stunden zwischen den Probevorstellungen für das Sommertheater in einem Diner Eier briet.
Kate schaltete eins der Morgenmagazine im Fernsehen ein, während sie sich Angelkleidung anzog, eine kurze Kargohose mit Taschen, die groß genug für Pipers Puppen waren.
Wie sich ihre Ansprüche verändert hatten. Als sie Mitte zwanzig war, schien es so wichtig, Professionalität zu wahren – bis hin zur Arbeitskleidung und den passenden Accessoires. Ihr Selbstwertgefühl gründete sich darauf, was sie erreicht hatte, sowie auf den Respekt, für den sie so hart gearbeitet hatte. Alles, was nicht perfekt war, fühlte sich wie ein persönlicher Angriff an; nichts durfte ihrer Arbeit in die Quere kommen, das schien ihr unverantwortlich, als würde sie falsche Prioritäten setzen. Jetzt bedeuteten diese Begriffe etwas anderes – Verantwortung und Priorität , Wertschätzung und Freude –, und sie wogen umso schwerer, da Kate beide Seiten kannte: die der Familienfrau und die der außerhalb Berufstätigen. Hoffentlich hatte auch Elizabeth ihre Leistung zu Hause so wertgeschätzt, als sie eine Hecke am Treppengeländer wachsen ließ.
Das Morgenmagazin kam zur Zusammenfassung der Schlagzeilen zur vollen Stunde. Kate hatte in den letzten Wochen kaum die Nachrichten verfolgt, nun blieb sie vor dem Bildschirm stehen. Die Welt versank im Chaos. Filmausschnitte brennender Straßenzüge in Kabul und Sanddünen in der Wüste, über denen der Staub nach Raketenangriffen aufstieg. Die Schlangen vor den Sicherheitskontrollen erstreckten sich bis vor die Flughafengebäude, und die Stadtwerke konnten ihre Wasserverunreinigungstests gar nicht schnell genug durchführen, um mit den Drohungen Schritt zu halten. Die Terrorwarnungen der Städte in den Vereinigten Staaten bewegten sich so häufig von gelb zu orange, zu rot und wieder zurück, dass man meinen konnte, die Sender drehten irgendwelche Farbkreisel. Die Nachrichtensprecherin an diesem Morgen wirkte ernst, als sie von einem in einer Regierungseinrichtung im Westen entwendeten Glasfläschchen mit Nervengas berichtete; nach einem unbestätigten Bericht war es in einer U-Bahn-Station in Washington gefunden worden.
Die U-Bahn, die Kate fast täglich mit den Kindern nahm. Zu Chris ins Büro, ins Museum. Mit der sie zu Anthonys neuem Restaurant fahren würde, falls sie die Stelle antrat. Sie schaltete den Fernseher aus.
Sie ging zu ihrem Laptop, der aufgeklappt auf dem Küchentresen stand, und gab eine kurze Suchanfrage ein. Sie konnte natürlich Vorkehrungen treffen, um ihre Familie zu schützen. Das Versteck in der Reserveradmulde und der Feuerlöscher reichten nicht mehr aus. Es gab Webseiten, die Luftschutzmasken für den zivilen Gebrauch anboten, die man unter dem Bett aufbewahren konnte, selbst tragbare, die in eine Handtasche passten. Und das Trinkwasser; sie wollte einen Wasserspender-Lieferservice anrufen, bevor sie in Urlaub gefahren waren. Was für eine Erleichterung, frisches Trinkwasser in Flaschen aus einer abgelegenen und sicheren Bergquelle zu haben, das direkt in ihre Küche strömte. Das würde helfen. Jedes kleine bisschen würde helfen, bis sie Washington verlassen konnten.
Sie hatte geahnt, dass es so weit kommen würde. Es war idiotisch, in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten zu wohnen. Es war, als befände sich ein riesiges Bullauge über Washington. Kate konnte es spüren, manchmal prickelte sogar ihre Kopfhaut, als visiere sie jemand durch ein Fadenkreuz. Vielleicht würde Chris’ Firma zustimmen, dass er von einem anderen Ort aus arbeitete und nicht im Hauptsitz. Vermont, Maine. Vielleicht
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