Wolkentaenzerin
ist passiert. Sie hat gesagt, dass es besser ist, zu sagen, dass ich keine Geschwister habe, weil es für die Leute unangenehm ist, wenn ich erklären muss, dass ich eine Schwester hatte, die gerade gestorben ist, und dass die Leute es nicht mögen, wenn etwas unangenehm ist. Manches sagt man, und manches verschweigt man lieber. Und es ist ja auch die Wahrheit.
Ich wünschte, Mom und Dad hätten mehr als zwei Kinder. Es ist irgendwie nicht so schlau, wenn man das als Eltern so macht, und wenn dann das gute Kind vielleicht stirbt und man nur noch eins hat, die Nörgeline.
12. Mai 1976
Ich bin heute noch mal zum Friedhof gegangen und habe Annas Palomino-Pony mitgenommen. Ich musste mich in ihr Zimmer schleichen, um es zu holen, Mom mag es nämlich nicht, wenn ich dort reingehe. Alles ist wie immer, es liegen sogar noch Anziehsachen von ihr auf dem Boden, und das Bett ist nicht gemacht.
Ich habe Dr. Trinker davon erzählt, wie sauer Mom auf mich war, als sie mich letzte Woche dabei erwischt hat, wie ich in Annas Bett geschlafen habe. Dr. Trinker wollte mit ihr reden, aber ein paar Tage später hat Mom gesagt, dass ich nicht mehr zu ihr gehen würde. Sie findet, ich muss mit keinem Arzt mehr reden und dass es uns allen doch ziemlich gutgeht.
15. Juni 1976
Herzlichen Glückwunsch zu meinem Geburtstag! 13! Ich bin jetzt ein Teenager. Wahrscheinlich sollte ich jetzt stundenlang telefonieren und in der Stadt rumlaufen. Sherry ist noch mit mir befreundet, aber das war’s schon. Ich glaube, zuerst wusste niemand, was er sagen sollte, ich ja auch nicht, und dann haben sie einfach immer weiter nichts gesagt, bis es zu merkwürdig geworden ist, und jetzt sagt niemand mehr: »Hey Lizzie D«. Ich bin nur noch das Mädchen, dessen Schwester gestorben ist.
Aber jetzt die großen Neuigkeiten: Wir ziehen nach Connecticut. Mom ist einverstanden, dass ich mir die Haare schneiden und Ohrlöcher stechen lasse, und ich nenne mich Elizabeth, nicht mehr Lizzie. Und in Connecticut bin ich nur anders als die anderen, weil ich aus Vermont komme. Die Leute, die wir da kennenlernen, werden nicht mal wissen, dass ich eine Schwester hatte . Mom findet, dass ein neuer Anfang gut ist und dass Privates am besten privat bleibt, und wir wollen nicht, dass die Leute die ganze Zeit so komisch deswegen sind wie hier. Sie sagt auch, dass ich mehr lächeln soll, wenn ich Freunde haben will.
Ich war auf dem Friedhof, um Anna von Connecticut zu erzählen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, sie hierzulassen. Es fühlt sich falsch an, dass sie allein bleibt und niemand zu Besuch kommt und ihr Blumen bringt. Ich habe ein paar von Moms Tulpenzwiebeln gepflanzt, auch wenn auf einem Schild steht, dass man nichts pflanzen darf. Ich hoffe, ich hab es richtig gemacht. Ich finde den Gedanken schrecklich, dass die Tulpen mit dem hübschen Teil nach unten wachsen, wo niemand sie sieht. Und ich habe gesagt, dass es mir leidtut, so gut es ging, weil ich kaum atmen konnte. Es tut mir so, so leid.
Als Kate aufwachte, registrierte sie zweierlei: Ein Kind stand links neben ihr, und ihr Hals war so verdreht, dass sie sich nicht zu ihm umwenden konnte.
»Mom, warum schläfst du hier?«
Tinker Bell war auf Augenhöhe, ein Siebdruck auf einem Polyester-Nachthemd. »Bist du krank? Können wir trotzdem mit der Fähre fahren?«
Kate streckte die Arme über den Kopf und spürte ein verspanntes Ziehen in Nacken und Schultern. Sie hätte nicht auf dem Sessel einschlafen sollen.
»Nein, ich bin nicht krank. Wir fahren auf jeden Fall heute mit der Fähre. Ist James schon wach?«
»Er liest im Bett«, antwortete Piper.
James hatte schon früh angefangen zu lesen. Anfänglich hatte er ihr laut vorgelesen, damit aber aufgehört, als er begriff, dass Erwachsene beim Lesen nicht mitsprachen. Jetzt las er alles – ältere Erstlesebücher, Zeitungen und Zeitschriften, selbst Kates E-Mails, wenn sie ihren Laptop offen ließ. Sie wusste nicht, wie viel er verstand, bekam aber langsam das Gefühl, sie sollte darauf achten, was für Lesestoff herumlag. Das Tagesgeschehen heutzutage war nicht unbedingt kindertaugliche Lektüre.
Kate strich ihrer Tochter über den Rücken.
»Okay, dann ziehen wir uns mal an, damit wir rechtzeitig da sind.«
Chris lag noch im Bett, ein Bein seitlich unter dem Laken herausgestreckt. Sie ging zu ihm hinüber und dehnte dabei ihren Nacken.
»Es ist Viertel vor acht. Wir sollten uns fertigmachen, wenn wir es zur Fähre um neun schaffen wollen.«
Er murmelte
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