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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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etwas, aber nichts rührte sich unter dem Laken.
    »Ich gehe duschen. Hilf du den Kindern beim Anziehen, okay?«
    Sie ging ins Bad, zog Yogahose und Trägershirt aus und drehte den Thermostat der Dusche so heiß es ging. Sollten andere Frauen doch in der Badewanne sitzen; eine vernünftig prasselnde Dusche entspannte Kate besser als jede Massage, weckte sie effektiver als Kaffee. Sie stellte sich mit gesenktem Kopf unter die Brause, so dass das heiße Wasser auf ihren verspannten Nacken und die Schultern trommelte. Viele ihrer besten Einfälle kamen ihr unter der Dusche. Als sie vor Jahren in Restaurants in Manhattan gearbeitet hatte, stieg sie oft mit neuen Ideen für Desserts aus der winzigen Duschkabine in ihrer Wohnung, mal ganz wörtlich – Lavendelseife, also nach Lavendel duftender Gugelhupf –, mal übertragen – Eiscreme mit blassen Diamanten karamellisierten Zuckers, arrangiert nach dem geometrischen Muster ihrer Badezimmerfliesen.
    Das Wasser strömte aus dem alten Duschkopf des Motels und hallte in dem kleinen gefliesten Badezimmer wider. Sie dachte daran, was alles erledigt werden musste, sobald sie in ihrem Ferienhaus ankamen. Sie hatten den Eigentümern versprochen, den Propangastank zu füllen, die Gartenmöbel sauberzumachen, im Keller nach Nagetieren und um die Veranda herum nach Kaninchen zu schauen. Und sie sollte möglichst bald einen Tisch reservieren für ihren Hochzeitstag; das Restaurant war so beliebt geworden. Doch inmitten dieser praktischen Aufgaben blieben ihre Gedanken immer wieder bei der jungen Elizabeth hängen. Ein kleines ernstes Gesicht, an die Scheibe gepresst, als sie an der Taylor Street vorbeifuhren, ein Mädchen namens Nörgeline, das herauszufinden versuchte, ob es der Definition eines Einzelkinds entsprach. Fünfundzwanzig Jahre später hatte Nörgeline im Schneidersitz auf einer Decke gesessen und mit einem Mann Händchen gehalten, der nicht ihr Ehemann war. Und hatte sichergestellt, dass im Falle ihres Todes nicht ihr Mann ihre Tagebücher erhalten sollte.
    Kate hielt normalerweise nichts von Mutmaßungen und Vorverurteilungen; es war unmöglich zu verstehen, was in der Welt eines anderen geschah, was jemanden veranlasste, irgendetwas zu tun oder zu lassen. Diese Einstellung hatte sie vollkommen verinnerlicht. Unvoreingenommen und feinfühlig , hatte Elizabeth es genannt.
    Vor fünf Jahren war ihre Nähe noch nicht selbstverständlich, war die Spielgruppe einfach nur eine Spielgruppe gewesen. Kates langjährige Freunde von der Kochschule lebten mittlerweile über das gesamte Land verstreut und arbeiteten in Restaurants auf der ganzen Welt. Bei ihren seltenen Treffen waren alle total ausgelassen. Voller Ironie und Witz erzählten sie von ihrem Leben und ihrer Arbeit, niemand nahm ein Blatt vor den Mund – sie lachten und alberten herum –, und sie fühlte sich so sehr zu Hause, wie sie es in der ruhigen, verkopften Enge ihres Elternhauses nie erlebt hatte. Unter ihresgleichen hatte sie endlich das Gefühl, ernst genommen und akzeptiert zu werden und nicht daran gemessen zu werden, was sie nicht konnte. Nur ihr Familienleben klammerte sie bewusst aus; wenige der Frauen, mit denen sie ihre Ausbildung absolviert hatte, waren mittlerweile Mutter, und die Männer, die Kinder hatten, sprachen nur selten darüber. Kate achtete darauf, nicht in Muttergefilde abzudriften, wenn sie mit ihnen zusammen war, und wenn es doch hin und wieder passierte, wurden die Augen ihrer Kolleginnen ganz glasig, genau wie bei ihrer älteren Schwester.
    Elizabeth war weder stürmisch noch ironisch. Sie sagte nichts, was sie nicht auch so meinte, und vergaß nichts, was man selbst erzählt hatte. Sie erinnerte sich an Geburtstage und alte Geschichten, rief an, wenn einem die Weisheitszähne gezogen worden waren. Man konnte sich bei ihr nicht so unsentimental und offen über die diversen Unzulänglichkeiten des Lebens Luft machen, die einen frustrierten, wie zum Beispiel, dass man manchmal seine Familie lieben und trotzdem sein Leben hassen konnte. Doch mit der Zeit schien das weniger wichtig. Man konnte seinen Frust über ein Kind ablassen – die verweigerten Mahlzeiten und die Trotzanfälle, dabei den Teil überspringen, in dem man den Raum verlassen musste und wie ein gestrandeter Fisch nach Luft schnappte, um nichts zu tun, das man später bereuen würde –, und sie würde zuhören und so tun, als bemerke sie die unterdrückten Tränen nicht, weil sie wusste, dass sie nicht bemerkt

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