Wolkentaenzerin
werden sollten. Elizabeth wurde beinahe von selbst zu der Person, die man öfter als alle anderen traf, das bequeme T-Shirt, nach dem man an Tagen griff, an denen man niemanden beeindrucken musste. Auch als Kate wegzog, war Elizabeth noch da, rief in regelmäßigen Abständen an, verlässlich wie die Gezeiten. Und dann war sie eines Tages nicht mehr da.
Kate drehte die Dusche ab, und das Quietschen der Armatur hallte im gefliesten Raum. Sie wrang das Wasser aus ihren Haaren, rubbelte die Spitzen mit einem Handtuch trocken und erinnerte sich mit einem Kloß im Hals daran, wie Elizabeth das Gleiche bei den Kindern der Spielgruppe gemacht hatte, wenn sie durch den Rasensprenger gelaufen waren. Wie sie zwischen ihnen umhergegangen war, als gehöre ihr ein kleines Stück von ihnen allen, wie sie so die kleinen Köpfchen dieser Welt ein bisschen trockener rubbelte.
Zuerst war Elizabeths Tod ein furchtbarer Schock gewesen, der verbissene Geschäftigkeit nach sich zog: endlose Listen von Menschen, die Kate anrufen musste, Einzelheiten, um die zu kümmern sie sich angeboten hatte. Doch es hatte sich nicht wie etwas angefühlt, das ihr beinahe ein Jahr später noch den Atem nehmen würde wie ein heftiger Stoß Trauer in den Solarplexus. Ihre enge Freundschaft war nicht alltäglich gewesen. Sie hatten keine gemeinsame Geschichte voller Jobs und Exfreunde. Elizabeth hatte sich nie auf Gespräche über eheliche Konflikte eingelassen oder zugegeben, dass es noch etwas anderes gab, das ihr wichtig war, außer oder sogar anstatt Windeln zu wechseln. Und gleichzeitig war sie mehr als eine Nachbarin gewesen, jemand, mit dem man einen trägen Nachmittag auf dem Spielplatz verbringen konnte.
Aber das ist das Komische an Menschen, die in keine Schublade passen. Sie durchdringen nach und nach alles, und wenn sie plötzlich nicht mehr da sind, fehlen sie überall.
Vier
Autos standen im Leerlauf vor der rostigen Kette, die über der Straße zum Fähranleger hing. Kurz vor neun Uhr fuhren die Fahrzeuge eins nach dem anderen die Rampe hinauf in das dickbäuchige Autodeck der größten Fähre, die Great Rock Island ansteuerte. Lastwagen schoben sich hinein, kratzten am Tor entlang und krochen vorwärts, bis sie Stoßstange an Stoßstange standen und im Einklang mit dem Schiff schaukelten wie Zootiere, die man für den Transport ruhiggestellt hatte.
Die Zahl der Frachttransporte auf der Fähre schien sich jedes Jahr zu erhöhen. Als Kate vor zwanzig Jahren zum ersten Mal auf die Insel gefahren war – als Highschool-Babysitterin einer Familie, die ihren vierwöchigen Jahresurlaub hier verbrachte –, hatte es nur zwei Fähren am Tag gegeben und keine Lastwagen. Damals konnte man kaum etwas auf der Insel finden, was nicht dort angebaut wurde. Zuckermais gab es an den zahlreichen namenlosen Bauernständen, und alle kauften Pie bei einer Frau aus der Gartenlaube, die weder Karte noch Öffnungszeiten hatte. Täglich bildeten sich Schlangen für Meeresfrüchte am südwestlichen Kai, und fast jeden Nachmittag gab es frischen Fisch, Hummer und Muscheln.
Die Geschichte des Hafens prägte die Geschichte von Great Rock. Im neunzehnten Jahrhundert bildete der Walfang die Lebensgrundlage der Gemeinde, als die meisten Bewohner entweder auf der Jagd nach dem Öl der Pottwale waren oder sich um das Wohlergehen der Walfänger sorgten. Vieles erinnerte in dem Hafenstädtchen noch an diese Zeit. Die Kapitänsvillen nahmen die erstklassigen Grundstücke an der Hafenfront ein, die alte Walfangkirche bildete noch immer das Dorfzentrum, und der schmale Glockenturm war ein beliebtes Motiv auf Postkarten und Gemälden.
In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, nachdem große Fischereikonzerne kleinere Boote aus dem Wasser vertrieben hatten, verlor die Fischfanggeschichte der Insel an Bedeutung. Die Villen standen leer und verfielen, viele von ihnen wurden in Wohnanlagen unterteilt und untervermietet. Die Kriminalität stieg, und Geschäfte, die den Winter über geschlossen wurden, bekamen Besuch von Vandalen und Hausbesetzern. Selbst die Walfangkirche fiel Wind und Wetter, Graffiti und Vernachlässigung anheim, und spätestens seit den Achtzigerjahren nutzte man sie weniger für Gebete für die Fischer als für diverse Selbsthilfegruppen der ganzjährigen Bewohner, wie die Anonymen Alkoholiker, die Narcotics Anonymous und die Künstlervereinigung aus der Nebensaison, deren Mitglieder zum größten Teil aus den anderen beiden Gruppen stammten.
Es
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