Women of the Otherworld 04: Pakt der Hexen
Entscheidungen hinterfragten, die sie getroffen hatten.
Als ich jetzt sah, wie Cassandra mit aller Kraft den A n schein zu wahren versuchte, dass sie noch ebenso sehr im Leben stand wie zuvor, wurde mir klar, dass der Prozess so unfreiwillig war wie jeder andere Aspekt des Alterns. Seit ich sie kannte, lag Cassandra nur an ihr selbst. Aber obwohl ich mir sicher war, dass Selbstlosigkeit noch nie eine ihrer he r vorstechenden Eigenschaften gewesen war – sie hätte niemals einen Sitz im Rat bekommen, wenn sie schon immer so egozentrisch gewesen wäre wie jetzt. Vielleicht war es ihr immer schwerer gefallen, sich für andere zu interessieren, als sie älter wurde und die Jahre und Gesichter ineinanderflossen, während sie selbst und ihr Leben die einzige Konstante bildeten. Konnte ich ihr deshalb wirklich Vorwürfe machen? Natürlich nicht.
Und meine Mutter? Konnte ich ihr Vorwürfe machen? Sie musste die Anzeichen bei Cassandra gesehen haben. Warum hatte sie nichts gesagt? Nachdem Lawrence sich nach Europa abgesetzt hatte, als er das letzte Stadium seines Verfalls erreicht hatte, hätte sie darauf bestehen sollen, dass ein zwe i ter, jüngerer Vampir neben Cassandra zum Delegierten bestimmt wurde. Wir hätten vielleicht eher gewusst, welche Vampire Schwierigkeiten mit den Kabalen hatten. Aber meine Mutter hatte keinen Finger gerührt. Warum? Vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem ich jetzt auf dem Hotelbett saß und die Tür anstarrte – wohl wissend, dass ich Cassandra darauf ansprechen sollte, und außerstande, es zu tun.
Die Furcht hielt mich auf dem Bett fest. Nicht die Furcht vor Cassandra selbst, sondern davor, sie zu verle t zen. Ich bin noch nie sehr gut darin gewesen, älteren Le u ten mit Respekt zu begegnen. Jeder Mensch hat ein A n recht auf meinen grundsätzlichen Respekt, aber um sich meine zusätzliche Achtung zu verdienen, braucht es mehr als eine Menge Kerzen auf dem Geburtstagskuchen. Meine Mutter hatte mich zum Zirkeloberhaupt erzogen. Das bedeutete, ich war in dem Wissen aufgewachsen, dass all diese älteren Frauen eines Tages mir unterstellt sein wü r den. Allerdings besteht ein Unterschied zwischen einer siebzigjährigen Hexe und einem dreihundert Jahre alten Vampir. Ich konnte nicht einfach hinausgehen und sagen: »Hey, Cass, ich weiß schon, dass du’s nicht hören willst, aber du bist am Sterben – gewöhn dich halt dran.«
Es musste etwas geschehen. Möglicherweise hatte me i ne Mutter einen Fehler begangen. Und wenn es so war, dann durfte ich ihn nicht weiterführen, nur weil ich ihr Ande n ken nicht beschädigen wollte. Wenn Aaron einen Platz im Rat wollte, dann sollte er ihn haben. Ich würde das Ca s sandra nicht gerade jetzt sagen. Aber wir mussten reden.
Cassandra stand im Wohnzimmer und starrte zum Fenster hinaus. Sie drehte sich nicht um, als ich hereinkam. Als ich sie sah, ließ meine Entschlossenheit mich im Stich. Es konnte bis zum Morgen warten.
»Das Bad gehört dir«, sagte ich. »Und du kannst auch das Schlafzimmer haben – ich lege mich auf das Sofa.«
Sie schüttelte den Kopf, immer noch ohne sich umz u drehen.
»Nimm du das Schlafzimmer. Ich schlafe dieser Tage nicht sehr viel.«
Noch ein Merkmal eines sterbenden Vampirs. Ich sah ihr zu, wie sie zum Fenster hinausstarrte. Sie wirkte nicht u n glücklich, aber auf irgendeine Art kleiner, gedämpfter. Ihre Gegenwart blieb auf die eine Ecke des Zimmers b e schränkt, statt es zur Gänze einzunehmen.
»Hast du einen Moment Zeit zum Reden?«, fragte ich.
Sie nickte und ging zum Sofa. Ich nahm den Sessel daneben.
»Wenn du noch mal mit John sprechen willst, helfe ich dir«, sagte sie. »Aber ich muss dich warnen – die Wah r scheinlichkeit ist groß, dass er uns auf eine falsche Spur setzt.« Sie machte eine Pause. »Nicht absichtlich. Er legt einfach zu viel Wert auf Klatsch.«
»Na ja, vielleicht könnte Aaron uns helfen, das Zeug durchzusieben, das John uns erzählt. Aaron scheint ein ganz brauchbares Netz von Bekannten zu haben.«
Cassandra erstarrte fast unmerklich; dann nickte sie. »Aaron war darin schon immer gut – sich in die Welt einzufügen. Anderen zu helfen. Ordnung zu halten. Das ist es, was er am besten kann.« Ein kleines Lächeln. »Ich weiß noch, wir waren in London, damals, als Innenmini s ter Robert Peel angefangen hat, die ersten Bobbys zu rekrutieren, und ich habe zu ihm gesagt: ›Aaron, endlich ein Beruf für dich.‹ Aber natürlich wäre er als Polizist absolut hoffnungslos
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