Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
erzählen kann und will. Insofern war die Lehrtätigkeit auch für mich eine wichtige Sache, die ich bis 2010 gerne und mit großem Eifer betrieben habe.
Gelegentlich und wenn es passte, lud ich mir Gastdozenten ein. So eben auch 2004 Gabriele Fischer. Nach ihrem Vortrag, der wie erwartet erfrischend und anregend für die Studierenden war, nahm ich sie im Auto mit und fuhr sie zu ihrer in Karlsruhe lebenden Mutter. Wir plauderten über dies und jenes, und so erzählte sie von dem Anruf eines Lesers, der ihr irgendwelche irrwitzigen Ideen zur Verbesserung des Steuersystems dargelegt habe. Nun hatte ich ja schon fast zwanzig Jahre gemeinsam mit hochkarätigen Wissenschaftlern über das Steuersystem nachgedacht und wusste, dass derlei eigentlich kein Thema für eine kurze Autofahrt war. Also brachte ich die Sache auf den Punkt: »Frau Fischer, Sie wissen doch: Es gibt zwei Dinge, auf die es ankommt: Konsumsteuer und Grundeinkommen.« Sie hakte kurz nach, fragte dies, fragte jenes. Aber dann waren wir auch schon am Ziel und unser Gespräch beendet.
Eine Woche später klingelte das Telefon. Die Frage hatte bei Gabriele Fischer gegärt. Die brand eins -Redaktion hatte sich schon im Jahr 2000 des Themas Grundeinkommens angenommen, weil die Kulturschaffenden das eine coole Idee fanden, wenn sie unbeschwert von finanziellen Basissorgen ihren kreativen Ideen nachhängen könnten. Nach dem Motto: Wenn du nichts arbeiten willst, ist Grundeinkommen eine gute Sache. Aber damals fehlte eben noch jeglicher Ansatz einer vernünftigen Finanzierung. Jetzt, in der Kombination mit der Konsumsteuer, bekam das Thema Grundeinkommen für die Redaktion eine neue Dimension und Perspektive.
Wir führten ein ausgiebiges Interview, in dem ich alle meine Überlegungen der letzten Jahre ausführlich darlegte, und der gestandenen Journalistin gelang es anschließend, meine manchmal etwas komplizierten Gedanken und Redewendungen in eine anschauliche und verständliche Sprache zu bringen. Der Text, der im April 2005 im brand eins -Heft mit dem Schwerpunkt »Wie weiter?« erschien, fand unerwartete Resonanz.
In Karlsruhe klingelte das Telefon, und die Redaktion der sonntäglichen Talksendung Sabine Christiansen lud mich ein. Und so saß ich am Tag der Arbeit, am 1. Mai 2005, unerwartet in Berlin im Fernsehstudio und diskutierte gemeinsam mit Mathias Döpfner, dem damaligen Axel-Springer-Vorstandschef, dem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, dem Börsenspekulanten Florian Homm, dem ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsident Sigmar Gabriel und dem damals designierten FDP-Generalsekretär Dirk Niebel über das Thema »Kapital und Eigentum verpflichten – Wozu?«
Die Einladung von Sabine Christiansen war eine Art medialer Ritterschlag. Wer dort eingeladen war, wurde dann von allen Medien angesprochen. Plötzlich bekam ich Einladungen, um Vorträge zu halten, Interviewanfragen, Bitten für Kommentare und Kolumnen. Im September 2005 erschien die brand eins mit dem Schwerpunkt »Nie wieder Vollbeschäftigung, wir haben Besseres zu tun!« und beschäftigte sich mit dem Thema Grundeinkommen. Auch später nahm sich die brand eins immer mal wieder dieses Themas an. Das bestverkaufte Heft war übrigens »Nichtstun – aber richtig!« im August 2012, in dem sich keine Anleitung für Faulpelze fand, sondern die Chancen kreativen Müßiggangs und neuer Arbeitsformen diskutiert wurden.
Seit dem Auftritt bei Sabine Christiansen gibt es kaum einen Tag, an dem ich nicht über das Grundeinkommen rede. Es war wie ein Feuerwerk, das, wenn es einmal gezündet ist, in einer Tour Raketen startet, die die Nacht erleuchten. Der erste Zündfunke war dieses Interview in brand eins . Die Idee wird weiter wachsen. Es ist wie ein Schwelbrand; irgendwann wird ein großes Feuer daraus. Man weiß nur nicht, wann.
Rückzug von dm:
»Der Werner, der sitzt da jetzt nicht mehr!«
Manchmal wird mir unterstellt, ich hätte das Thema Grundeinkommen bewusst auf die Agenda gesetzt, um auf besonders geschickte Weise Werbung für dm zu machen. Aber das ist Quatsch. Ich habe das Thema nie besonders in Szene setzen wollen, verspüre kein Sendungsbewusstsein und biete mich auch nirgends an. Zeitungen, Fernsehen oder Veranstalter treten alle auf mich zu. Dass die Grundeinkommensidee auf die Medien solch eine Sogwirkung hatte, lag nicht daran, dass ich sie damit bedrängt hätte. Nein, offenbar änderte sich die Großwetterlage im Denken der Menschen. Es sind eben immer mehr Leute bereit,
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