World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
dachte Jaina traurig, während sie sich umblickte, aber der Preis war hoch gewesen. All die Greifen und Hippogryphen waren mitsamt ihren Reitern getötet worden, und ihre pelzigen oder federbedeckten Leichen lagen noch immer dort, wo sie in die Stadt herabgestürzt waren, durchbohrt von Pfeilen oder versengt durch Zauber, ihre Horste zerstört von den Eindringlingen der Horde, die auch Sangweber befreit hatten. Diese Tiere waren jedoch nicht die einzigen, die heute ihren Tod gefunden hatten; die Kadaver riesiger Fledermäuse, Drachenfalken und löwenartiger Wyvern lagen ebenfalls zerschmettert auf den Straßen von Theramore.
Jaina erblickte eine kleine Gestalt, die ziellos durch die Ruinen irrte, wo sich einst das Gasthaus befunden hatte. Rasch lief sie zu Kinndy hinüber, erleichtert, dass ihre Schülerin den Kampf überlebt hatte. Aber als das Gnomenmädchen den Kopf hob, versetzte ihr Gesichtsausdruck Jainas Herz einen schmerzhaften Stich.
Kinndy war totenblass, selbst aus ihren Lippen schien das Blut gewichen. Ihre Augen waren riesig, aber trocken. Jaina streckte die Hand aus und streichelte tröstend ihr wirres rosafarbenes Haar.
„Ich dachte, ich wüsste … wie es werden würde“, sagte das Gnomenmädchen leise. Dass diese sanfte, leise Stimme einst freche Witze mit Tervosh ausgetauscht oder einen Drachen beleidigt hatte, war in diesem Augenblick kaum zu glauben.
„Du kannst alle Bücher der Welt lesen, Kinndy, aber niemand weiß wirklich, wie sich eine Schlacht anfühlt, bis er in einer gekämpft hat“, erklärte Jaina.
„Ihr … ging es Euch denn genauso?“
Sie dachte an ihre erste Begegnung mit den auferstandenen Toten in jenem Gebiet zurück, das unter dem Namen Pestländer bekannt werden sollte, und die Erinnerungen spülten über sie hinweg, viel lebhafter, als ihr lieb war: wie sie in eines der Bauernhäuser gegangen war und den übelkeiterregend süßen Geruch der Verwesung gerochen hatte; wie das schlurfende Wesen, das einmal ein lebender Mensch gewesen war, gekreischt hatte, als es sich auf sie stürzte; wie sie sich mit einem Feuerball verteidigt und dem widerlichen Gestank dadurch noch den Geruch verkohlten Fleisches hinzugefügt hatte. Sie hatte das Bauernhaus niedergebrannt und damit noch weitere der lebenden Leichen in den wahren Tod geschickt. Diese Schlacht war natürlich ganz anders gewesen als die heutige, gleichzeitig aber doch auch sehr vergleichbar. Soweit es Jaina betraf, war ohnehin alles dasselbe, was Gewalt und Töten und Getötetwerden beinhaltete. Selbst jetzt noch spürte sie bei der Erinnerung ein Kribbeln, wie die Berührung einer Knochenhand. Sie schauderte.
„Ja“, sagte sie dann, „mir ging es genauso!“
„Gewöhnt man sich daran … so etwas zu sehen?“ Kinndy breitete die kurzen Arme aus und deutete auf die Leichen, die auf dem Boden ringsum verstreut lagen. „Gewöhnt man sich daran, Leute, die vor ein paar Stunden noch quicklebendig und wohlauf waren … plötzlich so zu sehen?“
Ihre Stimme kippte bei den letzten Worten, und Jaina war erleichtert, als jetzt endlich Tränen in die Augen des Gnomenmädchens traten. Trauern zu können war der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung, wenn man ein solches Grauen miterlebt hatte.
„Nein, daran gewöhnt man sich nie“, sagte Jaina. „Es tut jedes Mal aufs Neue weh. Aber das Gefühl der Hoffnungslosigkeit verblasst, und man erkennt, dass man nach einem solchen Erlebnis trotzdem weitermachen kann. Man erkennt, dass diejenigen, die man verloren hat, wollen würden, dass man weitermacht. Du wirst lernen, wieder zu lachen, dankbar zu sein und das Leben zu genießen, aber du wirst nie vergessen, was hier geschehen ist.“
„Ich glaube nicht, dass ich je wieder lachen kann“, entgegnete Kinndy, und fast wollte Jaina ihr glauben. „Warum ich, Lady? Warum habe ich denn überlebt und all die anderen nicht?“
„Die Antwort darauf werden wir nie erfahren. Alles, was wir tun können, ist, diejenigen zu ehren, die nicht mehr hier sind, indem wir unser Leben bis zum Letzten auskosten. Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht umsonst gestorben sind. Denk daran, wie sehr deine Eltern dich lieben, und wie dankbar sie sein werden, dass du noch lebst!“ Sie schenkte ihrer Schülerin ein schmales Lächeln, aber auch Melancholie schwang darin mit. „Denk daran, wie dankbar ich bin, dass du noch lebst!“
Das Gnomenmädchen blickte forschend zu ihr hoch, dann huschte auch über ihre blassen Lippen das Phantom eines
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